Feinde der Krone
Frau viele mit Lebensmitteln und auf andere Weise unterstützt hatte. »Ich dachte immer …«, begann sie, setzte ihren Satz aber nicht fort. Die Gründe waren unerheblich. »Und er gewinnt die Wahl, nicht wahr?«
»Ja«, sagte er und nahm wieder seine gewohnte Körperhaltung ein. »Bisweilen lachen die Menschen über ihn, und seine politischen Gegner reiten ständig auf seinem hohen Alter herum …«
»Wie alt ist er eigentlich?«
»Dreiundachtzig. Aber er besitzt noch genug Leidenschaft und Energie, um seinen Wahlkampf im ganzen Land zu führen. Außerdem ist er der beste Versammlungsredner, den wir je hatten. Ich habe ihn vor einigen Tagen gehört – die Massen haben ihm förmlich zugejubelt. Manche Väter hatten ihre kleinen Kinder mitgebracht. Die hatten sie sich auf die Schultern gesetzt, damit sie eines Tages sagen können, sie hätten Gladstone gesehen.« Unwillkürlich hob er die Hand an die Augen. »Natürlich gibt es auch Menschen, die ihn nicht ausstehen können. In Chester hat eine Frau ein Stück Pfefferkuchen nach ihm geworfen. Es war so hart, dass es ihn tatsächlich verletzt hat. Nur gut, dass sie nicht meine Köchin ist! Zu allem Überfluss hat sie das bessere seiner beiden Augen getroffen. Doch all das kann ihn nicht hindern weiterzumachen. Im Augenblick plant er, nach Schottland zu fahren, wo er nicht nur um
seinen eigenen Unterhaussitz kämpfen, sondern auch möglichst vielen anderen helfen will.« Eine zögernde Bewunderung lag in seiner Stimme. »Aber was die Arbeitswoche betrifft, ist er zu keinem Kompromiss bereit, und die Selbstbestimmung für Irland geht ihm über alles.«
»Besteht denn eine Aussicht, dass er damit durchkommt?«
Er schnaubte. »Nein.«
»Du hast dich aber doch nicht mit ihm angelegt, Jack, oder?«
Er wandte den Blick ab. »Nein. Allerdings wird uns die Sache einen hohen Preis kosten. Jeder einzelne Kandidat will diese Wahl gewinnen, aber keine der beiden Parteien. Die Belastungen sind einfach zu groß und die Aufgaben nicht zu bewältigen.«
Einen Augenblick lang wusste sie nicht, was sie denken sollte. »Willst du damit sagen, dass sie lieber in der Opposition wären?«
Er zuckte die Achseln. »Diese Regierungsperiode wird nicht von langer Dauer sein. Alle sind schon auf die nächste Unterhauswahl eingestellt, zu der es ziemlich bald kommen könnte … vielleicht schon im Laufe der nächsten zwölf Monate.«
Sie merkte am Klang seiner Stimme, dass er ihr etwas verschwieg.
Er wandte sich ab und starrte auf das Gemälde über dem Kamin, als ob er durch das Bild hindurchsähe. »Heute Abend hat mich jemand aufgefordert, dem Inneren Kreis beizutreten.«
Sie erstarrte. Eiskalt durchfuhr sie die Erinnerung an Vespasias Worte, an das, was Pitt mit dieser unsichtbaren geheimen Kraft erlebt hatte, einer Macht, die niemandem Rechenschaft schuldete, weil niemand wusste, wer sich dahinter verbarg. Diese Leute hatten dafür gesorgt, dass Pitt seine Anstellung in der Bow Street verlor, und ihn geradezu als Flüchtling in die Gassen von Whitechapel getrieben. Nachdem er sie in einem verzweifelten Kampf besiegt hatte, der einen hohen Blutzoll gefordert hatte, waren sie erst recht seine unversöhnlichen Feinde geworden.
»Das kannst du nicht tun!«, sagte sie. In ihrer Stimme lag Angst.
»Ich weiß«, sagte er und kehrte ihr nach wie vor den Rücken zu. Das Licht der Lampe beleuchtete den schwarzen Stoff seines Jacketts und zeigte, wie er sich an den Schultern spannte. Warum sah er sie nicht an? Warum schob er die Sache nicht ebenso zornerfüllt beiseite, wie sie es tat? Sie rührte sich nicht, und die Stille im Raum lastete auf beiden.
»Jack?« Sie flüsterte es beinahe.
»Natürlich.« Er wandte sich langsam um und zwang sich zu lächeln. »Das kostet alles einen ziemlich hohen Preis, nicht wahr? Die Macht, Nützliches zu tun, wirkliche Veränderungen herbeizuführen, die Freundschaft von Menschen, an denen einem liegt, und die Selbstachtung. Wer nicht das Ohr der wirklich Einflussreichen besitzt, kann sein Leben lang an den Rändern der Politik herumspielen, ohne zu merken, dass er keinerlei tatsächliche Veränderungen herbeigeführt hat, weil er nicht an der Macht teilhatte, die stets in anderen Händen lag …«
»Und zwar in denen von Namenlosen«, sagte sie ruhig. »Dahinter stehen Männer, die nicht das sind, wofür man sie hält, deren Gründe man weder kennt noch versteht. Unter Umständen verbergen sie sich hinter unschuldigen Gesichtern, und
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