Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
haben.
»Kendrick?«, sagte ich schließlich.
»Ich weiß. Du willst sie lieber ins Krankenhaus bringen, hab ich recht?«
»Ja.«
»Aber das können wir nicht. Ich meine, klar können wir das, aber Healy wird es rausfinden, und dann haben sie ihre persönliche kleine Laborratte, mit der sie ihre Experimente machen können.«
»Ich weiß, aber –«
»Jackson, ich kenne mich besser mit so was aus als die meisten Ärzte«, hielt sie entschlossen dagegen. »Außerdem ist sie eine Zeitreisende. Vielleicht bleibt sie ohnehin nicht lange hier.«
Emily war entweder eingeschlafen oder ohnmächtig geworden und wachte nicht mehr auf, bis wir sicher in Dads vier Wänden waren.
»Was glaubst du, wie lange sie schon hier ist?«, fragte ich Kendrick. »Wenn sie aus irgendeinem Grund nicht zurück in die Zukunft springen kann, irrt sie vielleicht schon seit Tagen durch New York.«
»Dieses Kind sieht eher so aus, als hätte es schon seit Wochen nichts Richtiges mehr zu essen bekommen«, sagte Kendrick mit bebender Stimme.
Ich schaltete das Licht ein und legte Emily aufs Sofa. Sie reckte sich und öffnete langsam die Augen. In dem hellen Licht konnte ich sie besser betrachten. Sie hatte kleine Zweige und Blätter im Haar. Ihre schwarzes Shirt und ihre Jeans waren zerrissen. Als ich sah, wie ausgezehrt sie wirklich war, wurde mir ganz übel.
Kendrick kehrte mit einem Arm voller Sachen aus dem Bad zurück. Sie reichte mir einen feuchten Waschlappen, den ich Emily vors Gesicht hielt, doch sie zuckte zurück.
»Vielleicht hat sie ja Hunger?«, schlug ich vor. »Schließlich hat sie im Müll gewühlt.«
Kendrick setzte sich neben Emily aufs Sofa. »Möchtest du was essen? Nahrung?«, fragte sie auf Farsi. Emily zögerte kurz und nickte dann. »Gut, dann musst du dir aber auch helfen lassen. Lauf nicht mehr weg, ja? Und mach dich auch nicht auf andere Art und Weise aus dem Staub.«
Emily nickte. Wieder liefen Tränen über ihr Gesicht.
»Vielleicht sollten wir sie nicht so unter Druck setzen. Sie hat immer noch Angst.«
Kendrick brachte mich durch eine Geste zum Schweigen. »Hol ihr was zu essen.«
Ich sah nach, was der Kühlschrank zu bieten hatte, und nahm eine Dose Cola und einen Sushi-Rest heraus. Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte und die Sachen an Kendrick weiterreichte, verdrehte die nur die Augen, stand auf und stapfte zurück in die Küche.
»Was ist mit der Cola?«, fragte ich sie. »Und Sushi ist gesund.«
»Stell dir mal vor, du hättest tagelang nichts gegessen und würdest dich dann mit Sushi und kohlensäurehaltigen Getränken vollstopfen. Es würde keine fünf Minuten dauern, und alles käme wieder raus.« Kendrick gab Emily eine kleine Flasche Gatorade und eine halbe Scheibe Pitabrot.
Wir sahen zu, wie sie vorsichtig das Brot anknabberte und dann immer größere Stücke davon abbiss. Kendrick stellte ihr eine Frage nach der anderen, während ich Emily das Gesicht vorsichtig mit dem Waschlappen abwischte.
»Wie alt bist du, Emily?«
»Dreitausendeinhundertzehn Tage«, antwortete sie mit vollem Mund.
Ich blickte zu Kendrick. »Acht«, sagte sie. »Sie ist acht Jahre alt.«
»Meinst du, sie kann noch was anderes als Farsi?«, fragte ich.
»Ich spreche alle Sprachen«, erwiderte Emily in perfektem Englisch.
»Weißt du, was Zeitreisen sind?«, fragte Kendrick und hielt die Gatoradeflasche hoch, um sie zum Trinken zu ermuntern.
Sie nahm einen großen Schluck und nickte dann. »Ja, ich hab doch eine gemacht, oder? Dr. Ludwig hat zwar gesagt, ich kann das nicht, aber das stimmt gar nicht.«
»Dr. Ludwig?«, wiederholten Kendrick und ich wie aus einem Mund.
Emily setzte sich gerade hin und schaute zwischen uns hin und her. »Mehr will ich nicht sagen.«
»In Ordnung«, sagte ich sofort. »Du brauchst uns gar nicht alles zu erzählen. Du darfst hierbleiben und alles essen, was du willst. So ist das hier in unserer Zeit.«
»Im Jahr 2009 geben wir unseren Kindern tatsächlich was zu essen« fügte Kendrick lächelnd hinzu.
»Kindern?«, fragte Emily.
»Ja, kleinen Menschen wie dir«, sagte ich und hielt meine Hand ungefähr auf Hüfthöhe, um ihre Größe anzudeuten.
»Die Unentwickelten?«, fragte sie. Sie klang inzwischen etwas weniger ängstlich, und das Brot war bereits verschwunden.
Bevor wir uns gezwungen sahen, den Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern ausführlicher zu erläutern, traf Stewart ein. Nachdem sie kurz, aber heftig auf Emilys Gegenwart reagiert hatte, führte Kendrick
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