Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
mich ebenso distanziert und unpersönlich verhalten wie Stewart, mehr zu schaffen machte, als ich zugeben wollte.
Und dann fiel mir Kendricks Gesicht vom Vortag wieder ein, als ich sie gefragt hatte, wo sie gewohnt hatte, bevor sie nach New York gekommen war. Ihre Geheimnisse lagen in dieser Antwort verborgen. So viel war mir jetzt klar.
Als wir an unserem Haus ankamen, folgte ich Kendrick in ihr Apartment und schloss die Tür hinter uns. »Erzähl mir, was mit deinen Eltern passiert ist, mit deiner Familie.«
Sie strich sich die Haare aus der Stirn, stellte sich vor mich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist denn mit deinen Eltern passiert?«
Ich muss verwirrt geguckt haben, denn sie verdrehte die Augen und führte ihre Frage weiter aus. »Einer der ersten Tests, die ich durchgeführt habe, als ich nach Frankreich kam, bestand darin, ohne ihr Wissen die DNA jedes einzelnen Mitglieds von Tempest zu analysieren. Ich weiß also, dass dein Dad nicht dein Vater ist, jedenfalls nicht dein leiblicher.«
Ich hielt einen Moment die Luft an, während mir mehrere Theorien durch den Kopf wirbelten. Weiß sie dann auch, dass ich ein halber EOT bin? Aber Marshall hätte sie niemals meine DNA testen lassen, wenn sie es auf diesem Weg hätte herausfinden können. Dann tauchte ein anderer Gedanke auf: Sie hatte mir – erneut – vertrauliche Informationen über ihr Spezialgebiet anvertraut. Und wir stritten uns, zum wiederholten Mal. Was bedeutete das? Wir teilten Geheimnisse, wir wurden wütend aufeinander, und dann noch ihr plötzlicher Impuls, Stewart zu beschützen. Waren Lily Kendrick und ich dabei, Freunde zu werden? Das war nie Teil des Plans gewesen.
»Das mit meinem Vater weiß ich auch noch nicht sehr viel länger als du; ich hab’s zufällig rausgefunden«, gestand ich schließlich.
Ihre Miene wurde sofort weicher. »Tut mir leid.«
»Aber er ist trotzdem mein Dad. Das ändert eigentlich nichts.«
Sie holte tief Luft und schloss für eine Sekunde die Augen. »Meine Eltern und mein jüngerer Bruder sind vor zwei Jahren gestorben, und das ist der Grund, warum ich hier bin, in der CIA. Oder genauer gesagt ist das der Grund, warum ich in dieser Abteilung bin. Mehr werde ich nicht sagen, okay?«
»Okay«, erwiderte ich ruhig.
»Du und Stewart, das geht mich nichts an. Ich werde nichts weiter dazu sagen.«
»Prima.«
»Also habt ihr wirklich –«
Ich hielt ihr den Mund zu. »Du hast doch gerade gesagt, dass es dich nichts angeht. Du bist eine schreckliche Heuchlerin.«
Sie lächelte schwach, und dann ging alles ganz schnell. Innerhalb einer halben Sekunde drehte sie mir den Arm auf den Rücken. »Ich nehme mir Beleidigungen sehr zu Herzen. Du sagst jetzt besser zum Ausgleich noch was Nettes.«
Kendrick zog an meinem Arm, und ich stöhnte gespielt laut auf. »Ich glaube, du hast mir die Schulter ausgekugelt. Ehrlich. Lass mich los!«
Sie ließ mich sofort los. »Jetzt bloß keine falsche Bewegung –«
»Mensch, bist du naiv!«, sagte ich, drehte mich um und sprang, bevor sie sich versah, über die Rückenlehne ihres Sofas und drehte mich zu ihr um. Nun stand das schützende Möbelstück zwischen uns. »Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob du das noch mal versuchst.«
Sie grinste mich an. »Es gibt nur einen Weg, der hier rausführt.«
Wir tänzelten beide hin und her und lauerten darauf, wer den ersten Schritt machen würde, als Michael plötzlich zur Tür hereinkam und die merkwürdige Situation sofort erfasste.
»Äh … hallo. Was ist denn hier los?«
Kendrick ließ mich nicht aus den Augen. »Wir sind nur gerade dabei, einen Streit zwischen uns beizulegen, welcher Grippeimpfstoff am wirkungslosesten ist.«
»Okay, da halte ich mich definitiv raus.« Er trat hinter sie, und sie drehte sich um und küsste ihn.
Ich nutzte die Gelegenheit, um über das Sofa zu springen und in null Komma nichts zur Tür zu rennen. »Dann bis später, Lily .«
»Mist«, murmelte sie, als ich die Tür hinter mir zuzog.
10
16 . Juni 2009 , 7 : 30 Uhr
Senator Healy hat mir heute die letzten Instruktionen für die Mission gegeben: Ich soll als Gast auf der Party anwesend sein und weiter nichts. Kendrick soll ebenfalls die Gastrolle spielen, da sie als Medizinstudentin eingeschrieben ist und sogar bei einigen der dort erwarteten Ärzte assistiert hat.
Ich muss was gestehen: Gestern Nacht habe ich in einem verzweifelten Moment der Schlaflosigkeit einen Zug nach Jersey genommen und bin an Adams Haus
Weitere Kostenlose Bücher