Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
vorbeigegangen. Ich hab ihn nicht gesehen oder so, und es brannte auch kein Licht, aber sein Auto war nicht abgeschlossen. Ich hab mich reingesetzt, auf den Fahrersitz, und seine CDs durchgesehen, und als ich dann Jeff Buckleys einziges Album, Grace, darunter entdeckt hab, hab ich mich dabei ertappt, wie ich es mir in die Tasche gesteckt hab und weggelaufen bin. Es ist Adams Lieblings-CD. Das wusste ich. Keine Ahnung, warum ich sie unbedingt haben musste, aber sie hat wahrscheinlich irgendeine vage Erinnerung ausgelöst. Vielleicht musste ich auch eine Spur von mir im Leben dieses Adam hinterlassen.
16. Juni 2009, 19:49 Uhr
Kendrick und ich betraten den Ballsaal des Plaza-Hotels in Abendgarderobe, ich im Smoking, sie im rosa Kleid. Aber beide hatten wir Waffen, Ohrhörer, Spritzen mit der Anti-Zeitreisen-Substanz und Handys für Notfälle dabei. Das war also nicht gerade die lockerste und lustigste Art, den Abend zu verbringen.
Wir waren schon ein bisschen nervös geworden, weil unser Leben plötzlich so langweilig und ereignislos war. Nicht dass wir dauernd die Gefahr suchten, aber das Fehlen einer Gefahr führte offenbar zu wachsender Nervosität. Sie wird kommen, und zwar nicht zu knapp. So erschien es mir jedenfalls.
»Da ist ja der Gastgeber«, sagte Kendrick und wies mit dem Kinn auf die lange Tafel, an der Senator Healy mit einigen der geladenen Gäste aus der internationalen Politik saß. »Und? Auf wen setzt du dein Geld? Der chinesische Botschafter ist ziemlich wichtig. Dass irgendwer versuchen wird, den Typen aus Litauen umzubringen, bezweifle ich eher.«
Ich bot Kendrick einen Stuhl an und scannte die lange Tafel mit den Augen ab. »Ich setze alles auf den Gastgeber.«
»Das würde ganz schön für Aufsehen sorgen, was?«, sagte sie lächelnd.
Einige Leute an der Tafel mit den Ehrengästen schauten in unsere Richtung, während sie sich mit ihren Tischnachbarn in ihrer Muttersprache unterhielten. Ich legte meinen Arm über die Rückenlehne von Kendricks Stuhl, beugte mich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Meinst du, du kannst von den Lippen ablesen, was sie sagen, und es simultan übersetzen?«
Sie lächelte. »Ich fange am rechten Ende an und du am linken.«
»Russisch, meine Lieblingssprache«, sagte ich, während ich den Mann mittleren Alters beobachtete, der an seiner Fliege herumnestelte und dabei grummelnd mit seiner Tischnachbarin sprach. Ich brauchte nur genau hinzusehen und es dann mehrmals im Stillen zu wiederholen, bis ich es übersetzen konnte. »Der Russe da hat gerade gesagt, wie sehr er es hasst, dass sie dauernd Eiswürfel in sein Glas werfen. Dadurch schmeckt alles nach Wasser, und er wird nie betrunken werden.«
Kendrick lachte und behielt dabei die Französin im Blick. »Sie erzählt dem Italiener neben sich gerade von ihren Kindern. Nichts, was uns weiterbringen würde.«
»Wie ich sehe, trainieren Sie gerade Ihre Sprachkenntnisse, wie es sich für Agenten gehört«, sagte Senator Healy plötzlich hinter uns.
Kendrick und ich drehten uns sofort um.
Er kicherte wieder. »Ich mache nur Spaß, Jackson. Bitte stell mir doch die hübsche junge Frau vor, die du mitgebracht hast.« Er wandte sich Kendrick zu und legte eine Hand auf ihren Rücken. Offenbar wollte er testen, wie gut wir uns verstellen konnten. »Ich kenne Jacksons Vater schon viele Jahre. Er ist stets sehr entgegenkommend, wenn es um die Richtlinien der Arzneimittelzulassungsbehörde geht. Seine Firma hat mehr als hunderttausend Dollar für diesen Ball gespendet.«
»Oh, das klingt wirklich großzügig«, sagte Kendrick.
»Ja, das ist ein toller Mann. Ich bin enttäuscht, dass er heute nicht hier sein kann.« Er sah mich erwartungsvoll an.
Ich räusperte mich. »Ach ja … Senator Healy, darf ich vorstellen: Lily Kendrick.«
»Habt ihr beide vielleicht Lust, einige unserer Ehrengäste kennenzulernen?«, fragte er lächelnd.
Wir erhoben uns, und ich hörte förmlich, wie Kendrick rasch die Namen und Eckdaten durchging, die sie im Kopf hatte.
Senator Healy hielt mich hinten an der Jacke fest und ließ Kendrick vorgehen. »Ich dachte, wir wären uns einig gewesen, dass du deine Zeit Agent Stewart widmest«, zischte er mir ins Ohr.
Hätte ich sie einladen sollen, meine Tischdame zu sein? Zu Kendrick hatte er gesagt, sie solle als Gast kommen. Deshalb waren wir beide davon ausgegangen, dass sie meine Begleitung sein sollte.
»Das habe ich auch«, erwiderte ich ruhig. »Aber mir war nicht klar, dass sich das auf
Weitere Kostenlose Bücher