Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
erstreckte. Die meisten Leute, die sich hier nicht auskennen, stellen
sich unter Kalifornien immer nur Los Angeles und San Francisco vor, und
vielleicht noch den Yosemite Park und Big Sur; die wenigsten wissen, daß ein
großer Teil dieses Staats immer noch Farmland ist, genauso flach und fruchtbar
wie der Mittlere Westen. In den letzten Jahrzehnten hatten die Farmer in dem
vierhundert Meilen langen Central Valley unter widrigen wirtschaftlichen
Bedingungen und anhaltender Dürre zu leiden, Farmland wurde Stück für Stück an
Wohnungsbaugesellschaften verkauft, und vielerorts liegt jetzt bester
Ackerboden unter Asphalt und Beton.
    Friedliche kleine Valley-Ortschaften
sind heute wuchernde Schlafstädte für Pendler aus der Bay-Area. Familien ziehen
wegen der vergleichweise niedrigen Immobilienpreise, der Schulen, des
kriminalitätsfreien Klimas, des intakten Kleinstadtlebens hier heraus. Doch das
rapide Wachstum bringt genau die Dinge mit sich, denen die Neuzugezogenen zu
entfliehen suchten: Kriminalität, höhere Preise, Rassenkonflikte und
Aggressionen seitens der Alteingesessenen. Wenn dieses Wachstum künftig nicht
geplant und kontrolliert vonstatten geht, wird eines Tages das Motto am
Torbogen über der Einfahrt nach Modesto — Wasser, Wohlstand, Zufriedenheit,
Gesundheit — nur noch Erinnerung sein.
    Cassie Court lag in einer älteren
Wohnsiedlung ganz im Norden der Stadt. Die umliegenden Straßen trugen alle
Frauennamen; ich fragte mich, ob der Boß der Baugesellschaft Freundinnen und
weiblichen Verwandten ein Denkmal gesetzt oder lediglich mit dem Finger in ein
Wie-soll-unser-Kind-heißen-Buch getippt hatte. Enid Tomchuck Blessings Haus
stand ganz am Ende der Sackgasse, dort, wo die Siedlung an ein Walnußwäldchen
grenzte; hellgelb mit dunkelbraunen Tür- und Fensterrahmen, repetierte der
Flachbau das Design jedes dritten Hauses in der Reihe. Ich sah mich um und
rechnete halb damit, meinen alten roten MG irgendwo am Bordstein stehen zu
sehen, aber wenn Mick hierher gefahren war, war er schon wieder weg.
    Die junge Frau, die mir die Tür von
Nummer 704 öffnete, war sehr blaß und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihr
ovales Gesicht zeichneten Falten der Anspannung, und ihr langes, glattes Haar
wirkte trocken und spröde. Als sie mich sah, schlossen sich ihre Finger
reflexartig um den Türgriff.
    Ich stellte mich vor, reichte ihr meine
Karte und fragte, ob ich mit ihr über den Tod ihres Mannes reden könne. Sie
würdigte die Karte kaum eines Blicks, ehe sie sie zerknüllte und auf den Boden
fallen ließ.
    »Erst die anderen, jetzt Sie«, sagte
sie. »Ich habe dem blonden Bengel gleich gesagt, daß ich nicht mit ihm reden
will, schon als er neulich angerufen hat, aber er ist trotzdem gekommen, und —«
    »Mick Savage war hier?«
    »Gestern abend. Und wie spät. Ariel ist
von der Türklingel aufgewacht und hat stundenlang geschrien. Sie vermißt ihren
Vater.« Verdammt, Mick! »Ich entschuldige mich vielmals dafür, daß mein
Assistent Sie zu so später Stunde gestört hat. Ich hoffe, er hat Ihnen keine
Ungelegenheiten bereitet.«
    »Sind das vielleicht keine
Ungelegenheiten — schreiende Kinder? Mir hat’s gereicht. Ich habe den Kerl
verjagt, mit Sids alter Jagdflinte. Und glauben Sie nicht, sie war nicht
geladen!«
    Mein Gott, wenn sie ihn nun erschossen
hätte? Ich mußte etwas wegen Mick unternehmen — und zwar je schneller, desto
besser.
    Enid Tomchuck setzte hinzu: »Und der
andere war wohl auch von ihrer Agentur.«
    »Beschreiben Sie ihn mir.«
    »Dürr, sieht bißchen aus wie eine
Ratte. Das letzte Arschloch.« Sie schob ihren Ärmel hoch und entblößte
die Innenseite ihres Unterarms; sie war mit einer Reihe blauer Flecken
überzogen, die aussahen wie Fingerabdrücke.
    »War er das?«
    Sie nickte. »Sie müßten vielleicht mal
Ihre Einstellungspraktiken überdenken.«
    Suits, brutal zu einer jungen Frau.
Nicht gut, gar nicht gut. »Er arbeitet nicht für mich«, sagte ich, »aber ich
kenne ihn. Wann war er da?«
    »Gestern morgen. Ich hatte die Mädchen
gerade dazu gekriegt, zum Spielen rüber zu den Nachbarskindern zu gehen. Ist
gar nicht leicht momentan; sie wollen ja immer nur im Haus rumhängen, fühlen
sich hier wohl sicherer. Und da kommt dieser Kerl und platzt einfach hier rein
und sagt, er will Sid sprechen, und dabei ist Sid doch tot. Und wie das endlich
in sein Hirn gedrungen ist, fängt er an, mir lauter Fragen zu stellen, und wie
ich nicht antworte, verdreht er mir den Arm.« Sie

Weitere Kostenlose Bücher