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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Suits
stand ebenfalls auf. »Ich bringe sie rüber, Anna. Du willst doch bei diesem
Wetter bestimmt nicht noch mal raus.«
    Das Häuschen stand auf einer Felsklippe
über dem Südende der Bucht, von einem Zypressenwäldchen umgeben. Wie das
Haupthaus aus Holz und Stein erbaut, enthielt es zwei Zimmer, ein Bad und eine
winzige Küche. Suits führte mich ins Schlafzimmer, entzündete die Holzscheite,
die fertig aufgeschichtet in dem kleinen Kamin lagen, und verbschiedete sich
steif. Ohne Anna war er in meiner Gegenwart befangen; ich spürte, daß der Akt,
mich in sein sorgsam gehütetes Privatleben hereinzulassen, ihn — und vielleicht
auch unser Verhältnis — stärker strapazierte, als er gedacht hatte.
    Inzwischen hatte mich die große
Müdigkeit gepackt. Ich schlüpfte aus meinen feuchten Klamotten und zwischen die
kastanienbraun gestreiften Laken unter dem Daunendeckbett. Drehte das Licht aus
und sah ins Feuer. Regen trommelte aufs Dach; Wind pfiff um den Kamin, und die
Sturmgeräusche waren unterlegt mit dem ständigen Branden der Wellen. Ich dachte
an Anna und Suits, die jetzt zusammen drüben im großen Haus waren. Ich dachte
an Hy, wo immer er sein mochte.
    Würde das mein Leben sein — allein zu
schlafen, während andere zusammen schliefen? Auf Hy zu warten, während er vor
seinen Dämonen davonlief — oder ihnen entgegen? Zuerst war mir unsere Beziehung
unkonventionell und uneinengend erschienen; jetzt schien sie mir bizarr und
unverbindlich. Zuerst hatte ich einen inneren Kontakt zu ihm empfunden, der
zeit- und raumunabhängig war; jetzt war da die meiste Zeit nur noch ein
Kurzschluß.
    An meinem Geburtstag am Lake Tufa? Ich
würde hinfahren, um zu sehen, wie es mit uns stand. Das war ich Hy schuldig.
Aber wenn es so stand, wie ich argwöhnte, war ich es mir selbst schuldig,
Schluß zu machen.
     
     
     
     
     

10
    »Okay, jetzt haben wir bis auf zwei
alle eliminiert.« Ich konsultierte meine Notizen. »Russ Zola, schon viele Jahre
bei dir. Seit der Zeit, als du die Filmtechnik-Firma in L. A. saniert hast.«
    Suits schloß die Augen und kniff sich
mit Daumen und Zeigefinger in die Haut über dem Nasenrücken. »Wie gesagt,
hinter dem freundlichen Äußeren ist da eine brutale Ader. Wir nennen ihn den
Vollstrecker, und er liebt seine Arbeit. Aber ich kann mir nicht denken,
wieso... Na ja, das hatten wir ja schon. Motive sind manchmal weder logisch
noch offensichtlich.«
    Ich nickte. »Dann: Noah Romanchek.
Ebenfalls viele Jahre bei dir. Schon seit Garberville. Ex-Drogenanwalt. Du
gibst selbst zu, daß du nicht recht durchschaust, wie er tickt.«
    »Ich habe keine Ahnung, was in seinem
Kopf vorgeht. Aber das heißt doch noch nicht, daß er irgendwas gegen mich im
Schilde führt.«
    »Aber diese beiden Männer haben Zugang
zu den Informationen, die für diese Anschläge auf jeden Fall nötig waren.«
    »Jeder von ihnen hat Zugang zu einem
Teil dieser Informationen. Und sie haben dich beide selbst darauf
aufmerksam gemacht, daß die betreffende Person diese Informationen brauchte.
Wieso sollte derjenige —«
    »Vernebelungstaktik. Jemand, der
freiwillig einen solchen Tip gibt, kann ja wohl nicht der Schuldige sein,
oder?«
    Suits zuckte die Achseln.
    Ich legte meinen Notizblock auf das
Tischchen zwischen unseren niedrigen Drehsesseln und schwang mich herum zur
Fensterfront. Es war fast drei Uhr nachmittags; seit heute früh um halb neun
waren wir die Unterlagen über Suits’ Mitarbeiter und die Sanierungsprojekte
durchgegangen. Ich hatte soviel Kaffee getrunken, daß meine Fingerspitzen
kribbelten. Er hatte Aspirintabletten gefressen wie Chips.
    Über Nacht hatte sich das Unwetter aufs
Meer hinaus verzogen, und zurückgeblieben waren ein reingewaschener Himmel und
ein strahlend helles Licht, in dem sich jeder Ast der Zypressen und jeder Spalt
der Felsen draußen im Wasser klar abzeichnete. Selbst die Wellen wirkten
scharfkantig. Anna spazierte in einem leuchtend roten Kapuzencape die Klippen
entlang. Eine jähe Bö riß ihr die Kapuze vom Kopf; Strähnen ihres langen Haars
flatterten im Wind. Suits stockte der Atem. Ich sah ihn an: Er starrte in
aufrichtiger Bewunderung auf seine Frau.
    Ich sagte: »Sie muß hier sehr einsam
sein, wenn du nicht da bist.«
    »Anna einsam? Ich glaube nicht, daß sie
in ihrem ganzen Leben auch nur einen Moment einsam war.«
    »Aber —«
    »Jetzt hör mal her, Sharon. Was haben
wir hier?« Er zeigte auf die Papiere auf dem Tisch. »Zwei Burschen, die schon
lange bei mir

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