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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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das bringen?«
    Ich nickte, dachte an ihren Mann: so
absorbiert von seinen eigenen Angelegenheiten, daß für die Bedürfnisse und
Gefühle anderer kein Platz war. Dann dachte ich an Hy, und mir ging auf, daß
Annas Situation in gewisser Weise meine eigene widerspiegelte. »Will er denn
nicht, daß Sie ihn begleiten?«
    »Das kann man so nicht sagen.« Sie
wandte sich ab und machte sich an den Rest des Abstiegs. Als wir über den
weichen Sand auf die Flutlinie zugingen, fuhr sie fort: »Wir sind es einfach
gewöhnt, getrennt zu leben. Zuerst konnte ich nicht bei ihm sein; dann habe ich
versucht, mitzugehen. Es... hat nicht besonders gut geklappt, also haben wir
beide beschlossen, es sein zu lassen.« Ihre Augen trübten sich — eine
unangenehme Erinnerung? — , aber dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf. »Hey,
so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Hier verstehen wir uns am besten, und
wenn man Geld und ein Flugzeug hat, spielt Entfernung keine große Rolle.«
    »Mir ist aufgefallen, daß Sie ein
gesichertes Tor haben, aber keine Alarmanlage, und diese Zäune sehen aus, als
könnte man sie leicht überwinden. Ist Ihnen nicht manchmal unbehaglich hier
draußen, ganz allein in einem so abgelegenen Haus?«
    »Nicht sehr. Ich habe erwogen, eine
Alarmanlage einbauen zu lassen, aber diese Dinger gehen immer versehentlich los
und versetzen einen nur in Panik. Ich habe auch schon daran gedacht, einen Hund
anzuschaffen, aber die Viecher stinken so. Ich schieße allerdings ziemlich gut
— als ich klein war, sind wir im Reservat immer auf die Jagd gegangen — , und
ich besitze zwei Pistolen. Eine dreisiebenundfünfziger Magnum und eine Beretta
zweiundneunzig-F, die ich immer in der Handtasche habe. Das ist mein
Sicherheitssystem.«
    Obgleich ich wirklich eine gute
Schützin bin und großen Spaß daran habe, mit meiner 38er auf dem Schießstand zu
trainieren, vermeide ich doch, sie mit mir herumzutragen, wenn es nicht
unbedingt sein muß. Und es war mir schon immer unbehaglich, wenn Leute
Handfeuerwaffen besitzen, die sie nicht beruflich brauchen. Ich fragte: »Würden
Sie tatsächlich auf einen Eindringling schießen?«
    Sie zögerte, und um ihren Mund lag
jetzt ein grimmiger Zug. Dann wischte sie meine Frage weg, indem sie sagte:
»Gehen wir ein Stück nach Süden. Ich zeige Ihnen die Bucht, wo die Schmuggler
ihren Schnaps gelagert haben.«
    Sie beschleunigte ihren Schritt, und
ich tat es ihr nach. Warum wurde ich das Gefühl nicht los, daß sie an
irgendeinem Punkt unseres Gesprächs kurz davor gewesen war, mir etwas Wichtiges
zu erzählen, es sich dann aber anders überlegt hatte?
    »Anna«, sagte ich nach einem Weilchen,
»hat Suits uns auf diesen Spaziergang geschickt, damit Sie mir meine Fragen zu
seinem Privatleben beantworten?«
    »Er hat mich nicht ausdrücklich darum
gebeten, falls Sie das meinen. Aber es kann schon sein, daß das sein
Hintergedanke war.«
    »Diesen Geheimhaltungstick, was sein
Privatleben angeht, muß er immer schon gehabt haben. Ich kannte ihn fünfzehn
Jahre und wußte nicht, daß er in Harvard war, bis es mir einer seiner
Mitarbeiter neulich erzählt hat.«
    »Das hat wohl damit zu tun, daß er als
Wunderkind immer im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Diese Kindheitsjahre waren
für ihn keine schöne Zeit.«
    »Da ist noch etwas, was mich
interessiert: Warum hat er sich trotz seines Harvard-Diploms dafür entschieden,
im ganzen Land herumzuziehen und Dinge wie Dope und Semesterarbeiten zu
verhökern?«
    »Suits hatte nie eine Kindheit oder
Jugend. Statt mit siebzehn in eine steile Erwachsenenkarriere einzusteigen,
wollte er erst mal nachholen, was er versäumt hatte.«
    Vor uns krümmten sich die Klippen
meerwärts. Unten endeten sie in einer Lawine von Felsbrocken, die bis ins
Wasser hinausreichte und eine Art natürliche Mole bildete. Ich blieb stehen.
Mein Blick wurde zum Rand des Sandsteinabsturzes hinaufgezogen; ich hatte
plötzlich so ein merkwürdiges Gefühl — als ob uns jemand beobachtete. Ich
suchte die Klippen ab, sah aber niemanden.
    »Hier entlang«, rief Anna.
    Ich schüttelte das Gefühl ab und folgte
ihr um eine zerklüftete, mit Entenmuscheln überkrustete Felsnase zu einer
A-förmigen Öffnung in der Klippenwand. »Unsere Schmugglerhöhle«, sagte sie.
    Im Inneren der Höhle war es feucht und
merklich kälter als draußen am Strand, und jedes Geräusch hallte wieder. Die
Wände waren von ausgewaschenen Vertiefungen durchzogen, wie steinerne Borde,
der ideale Platz, um

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