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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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gesagt.«
    »Nein.«
    »Dieser Mann liebt Überraschungen.« Sie
warf ihm noch einen strengen Blick zu und führte mich dann nach links in einen
langen Trakt, wo Küche, Eß- und Wohnbereich einen einzigen großen Raum
bildeten, der von einem freistehenden Kamin und einer nach Westen gelegenen
Fensterfront dominiert wurde. Statt des Meers sah ich unsere Spiegelbilder —
Annas und meins — in dem dunklen Glas. Sie berührte mich am Arm und zeigte auf
die Scheibe; wir musterten uns.
    Natürlich gab es Unterschiede: ihre
Größe, durch die engen Jeans und das kleehonigfarbene lose Seidentop noch
unterstrichen. Ihre Gesichtszüge, indianischer als meine, die nur ein genetischer
Zufall sind — ein atavistischer Durchbruch des Shoshonenbluts, das von meiner
Großmutter Mary McCone stammt. Ihre Art... ich konnte es noch nicht genau
festmachen, spürte aber eine gewisse Selbstzufriedenheit... nein, eine
Selbstgenügsamkeit, die ich nicht hatte und wahrscheinlich auch nie haben
würde.
    Aber die Ähnlichkeit war, angesichts
der Umstände, doch beunruhigend.
    Suits kam hinter uns herein. Er
entledigte sich des Regenmantels, den er sich umgehängt hatte, und schmunzelte
immer noch vor sich hin.
    Ich drehte mich um und funkelte ihn
wütend an.
    Er streckte abwehrend die heile Hand
aus. »Sorry«, sagte er. »Der Teufel hat mich geritten.«
    Wirklich? fragte ich mich. Hatte es ein
Scherz sein sollen, oder hatte er nichts gesagt, weil er Angst hatte, wie ich
darauf reagieren würde, daß er mit einer Frau verheiratet war, die mir so
ähnlich sah? Ich mußte daran denken, wie er mich in der Küche von All Souls
angestarrt hatte, ehe er den Entschluß gefaßt hatte, mich hierher zu bringen.
Sein brütendes Schweigen während des Flugs, seine Nervosität im Taxi.
Jedenfalls hatte ich mich wieder einmal in Suits getäuscht, ihn für einen
einsamen Menschen gehalten, dessen Leben sich in einer Abfolge halbleerer
Wohnungen in fremden Städten abspielte. Ich würde diesen Mann nie durchschauen,
sondern allenfalls an der Oberfläche seiner Person herumkratzen. Anna nahm mir
Handtasche und Aktenmappe ab, half mir aus meinem nassen Parka und drückte
Suits alles miteinander in den heilen Arm. »Mach dich nützlich«, befahl sie ihm.
Dann führte sie mich zu einem der Sofas, die den Kamin umgaben. »Ziehen Sie
diese Stiefel aus und legen Sie die Füße hoch«, sagte sie. »Ich mache uns etwas
zu essen.«
    Ich streckte die Hände in die Wärme des
Feuers. Der Regen trommelte aufs Dach und schlug unbarmherzig gegen die
Glasfront hinter mir. Ich zog die Stiefel aus, wackelte mit den Zehen und
postierte die Füße zum Auftauen auf dem Rand der Feuerstelle.
    Anna war in der Küche am jenseitigen
Ende des großen Raums — gediegenes Holz, Kupfer und Kacheln in verschiedenen
Erdtönen, warm und gemütlich an einem Abend wie diesem. Suits kam ohne meine
Sachen wieder herein und ging zu ihr. Sie stand an einer Arbeitsfläche, die in
den Raum ragte, und arrangierte irgendwelche eßbaren Dinge auf einer Platte; er
trat hinter sie und umfaßte sie mit dem heilen Arm. Anna unterbrach ihre
Arbeit, drehte sich um, um ihn zu küssen, und strich mit den Fingerspitzen
sanft über seinen Gips. Als sie wieder weitermachte, legte er das Kinn auf ihre
Schulter, sie war ein Stückchen größer als er, und sein Kopf paßte gerade
bequem in ihre Halskuhle. Ich sah, wie sich sein erschöpftes Gesicht
verwandelte: die Falten glätteten sich, die Augen schlossen sich, ein Lächeln
spielte um seine Lippen. Meine Arbeit hat zwar in mir eine voyeuristische Ader
gezüchtet, aber ich weiß doch, wann ich eine intime Situation respektieren
sollte. Ich guckte ins Feuer. Trotz all der Fragen, die in mir nagten,
verfehlten die Flammen ihre hypnotische Wirkung nicht. Ich hörte leises Reden
und Geschirrklappern aus der Küche, das wiederholte Piepen eines
Mikrowellenherds. Mein Körper sank tiefer in die weichen Polster, und meine
Lider wurden schwer...
    Das Gerede war jetzt lauter, drehte
sich irgendwie um Wein. Ich schreckte hoch; ich war eingedöst. Anna kam durch
den Raum und setzte ein Tablett mit Gläsern, Tellern und Besteck auf dem Rand
des Kamins ab. »Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus, einfach hier zu essen«,
sagte sie. »Wir haben den Eßtisch schon fünf Jahre hier stehen und noch nicht
einmal benutzt.« Dann ging sie wieder in die Küche, und ich nahm meine noch
immer feuchten Füße neben dem Tablett weg. Sie und Suits kamen mit zwei
weiteren Tabletts und

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