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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Augen und beobachte, wie ein Junge von vielleicht 16 Jahren sich auf die Bank unter Friedrich Schiller hockt, seinen Rucksack öffnet und eine Bong herauszieht, die er sich aus einer alten Fantaflasche gebastelt hat. Er spuckt auf den Boden unter dem deutschen Dichterfürsten und beginnt zu blubbern, als er einen älteren Bekannten die Treppe hinaufgehen sieht. Die beiden winken sich zu. Der Ältere trägt einen akkurat geschnittenen Bart und einen schlichten schwarzen Pullover zur grauen Jeans und hat sich den Kopf rasiert.
    »Was geht?«, sagt der Junge und blubbert mit seiner Pulle.
    Der Ältere setzt sich zu ihm. »Lass den Scheiß Mann, du rauchst das Plastik mit. Mach'n Kopf aus Metall oder Holz drauf, so ist doch schwachsinnig.«
    Der 16-Jährige sagt: »Ey, Koseng, meinst du wirklich, gesundheitlich interessiert's mich? Fuck, ich werd nicht mal vierzig. Es rentiert sich nicht für mich, wenn ich nüchtern bleib.«
    Der Ältere sagt: »Heute wieder 'ne Runde Selbstmitleid, Samir?«
    Der Junge springt auf, seinen Gesundheitsruinierer aus Plastik in der Hand: »Das Land ist im Arsch, Mann! Ich bin schlau, Mann. Lernen, arbeiten - bringt mir doch nichts, oder was?«
    »Mann, was ist los mit dir? Du bist jung, du hast 'ne Zukunft vor dir. Mach was draus, werd'n großes Tier.«
    »Ich erzähl dir was von großen Tieren. Das sind die, die den Clowns die Fresse polieren und danach ihr Lobi kassieren. Das sind die, die am Staat vorbei voll am Start sind, ohne Schulabschluss Kohle verdienen und das ohne Steuern und all den Schwachsinn. Ich mach's wie die, weil's anders nicht geht. Keiner packt's von selbst, wenn Papa nicht massig Geld hat.«
    »Das ist ne Entschuldigung, Alter, 'ne Ausrede. Ich kenne Jungs, die's geschafft haben, die früher krass waren und jetzt was reißen, aus eigener Kraft.«
    Der Teenager zieht an der Bong, schaut weg, an der Statue vorbei, über die Mauern zur Amselwiese. Dass er nachdenkt, liegt auf der Hand.
    Der Ältere steht auf und sagt: »Peace, Mann, ich muss jetzt gehen. Wenns was gibt, was ich für dich tun kann: Sprich mich drauf an, du weißt, wo ich bin. Bis dann.«
    Er zieht ab mit den leicht federnden Schritten von jemandem, der längst in sich ruht, aber sich noch nicht ganz abgewöhnen kann, den Polizei-in-der-Nähe-Prüfblick zu machen. Ich ziehe vorsichtig meine Füße hinter den Busch. Der Teenager sieht seinem älteren Berater nach, schüttelt den Kopf, wirft dann seine Fanta-Bong in den Mülleimer neben der Bank und klopft gegen Friedrich Schillers Oberschenkel. Er sieht an der Statue hinauf: »Fritz, alter Checker«, sagt er leicht bedröhnt, »meine Lehrerin wollte immer, dass ich deine Reime lese und was aus mir mache.« Er schnieft Schnodder hin und her und spuckt in die Platanen. »Vielleicht mach ich das mal irgendwann«, sagt er, klopft noch zweimal gegen die Beinmuskeln des Titanen und zieht ebenfalls ab, den Schritt so tief ausfedernd, wie es Jungs tun, die ihre Haltung noch finden müssen.
     
    Auf dem Heimweg mache ich den Bogen um die Kolonie Togo, über den Nachtigalplatz und an der Grundschule vorbei zum Möwensee im Volkspark Rehberge. Das Wasser ist so schmierig, dass ein versehentlicher Sturz hinein ein Kind schnell in ein Sumpfmonster verwandeln würde, aber der Geruch und die Geräusche in diesem Stadtwald sind schön. Riecht es auf der Müllerstraße nach Kot und chinesischem Glutenessen, riecht es hier nach Baumharz und Schlick, und in den Wipfeln über dem Wasser schreien tatsächlich die Möwen. Tritt man an der Ecke des Parks wieder auf die Afrikanische Straße hinaus und läuft auf unsere Bettenburg zu, die sich den ganzen Block bis zur Transvaalstraße aufgeschichtet hat, schauert es einen. Man fragt sich, warum man in diesem Korallenriff aus Waschbeton gegenüber dem Park haust und nicht einfach in einer Hütte im Park lebt, aber dem stünden sicher zahllose Verordnungen entgegen. Ich nehme mir vor, gleich oben in der Wohnung mein 15-Minuten-über-Unbekanntes-Lesen-Synapsentraining zu absolvieren und im Internet nach Wohnrecht in Stadtparks zu suchen, als ich vor dem Eingang die Traube Jugendlicher herumlungern sehe, die uns Tag für Tag Probleme machen. Mein Herz erhöht den Taktschlag, und ich bemühe mich so sehr, ganz selbstverständlich an ihnen vorbei ins Haus zu gehen, dass ich in ihren Augen vor lauter Selbstverständlichkeit bereits so knallrot leuchten muss wie ein gegnerischer Soldat im Infrarotfernglas, das auf Körperwärme

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