Feindesland
Bündel von Kabeln in zwei dicke, kompakte Strünke gebunden. Einer für das Problem, einer für das Spiel. Beide schöpfen voneinander den Rahm der Sorge und der Überkonzentration ab, der sich sonst bilden und dafür sorgen würde, dass man sich beim Problem gedanklich im Kreis dreht und beim Spiel versagt, weil man es zu sehr schaffen will. Mit jedem Hüpfer wird Susanne ruhiger, ihr Atem regelmäßiger. Nach zwei Leveln lässt sie das Joypad sinken und sieht uns an, wie wir in der Tür stehen.
Sie sagt: »Ich war doch eben noch bei meiner Mutter in Köln. Hab ihr geholfen, die Deckenverkleidung zu erneuern. Hab ihr den Garten gemacht. Hab allen Mietern den Garten gemacht. Hab sogar einen Tag in der Kneipe geholfen, bis ich fast erstickt bin wegen des Qualms. Hab noch gesagt: >Mutter, mach dir keine Sorgen, ich kriege schon eine Stelle als Ingenieurin. Hartmut geht zu ihr und hockt sich auf die Sessellehne. Sie sieht ihn an, als habe sie die letzten drei Jahre vergessen, sich ernsthaft zu fragen, ob dieser Verrückte ihr Mann sein könnte und ob er sich überhaupt endgültig für sie entschieden hat. Ob man ihm trauen kann. Dann legt sie ihren Kopf auf seine Brust, und er streichelt ihr Haar.
»Man ist niemals vorbereitet«, sagt Hartmut. »Man wächst mit seinen Aufgaben.«
Susanne sagt: »Das ist so ein Satz, den normalerweise ich sagen müsste, während du hier sitzt und spielst.«
Hartmut sagt: »Ich weiß.«
Auf dem Bildschirm wartet Sparkster, dass sein Abenteuer weitergeht. Ich lege den Arm um Caterina in der Tür zu dem Zimmer, das in der Vergangenheit schwebt, während in ihm über die Zukunft gesprochen wird. Ich weiß nicht genau, was ich empfinden soll. Hartmut und Susanne ein Kind? Das ist so unfassbar, so sehr das-gelingt-nur-anderen-artig, so außerirdisch. Es bedeutet, dass auch Caterina dort so sitzen und ihr Köpfchen auf meine Brust legen könnte. Es bedeutet, dass wir dem Mulcheinkauf am Samstag vielleicht doch näher sind, als wir glauben. Und dem Mulcheinkauf nahe zu sein, das kommt uns fremder vor, als würde jemand sagen: »Junge, nimm dieses G3 und ziehe in den Krieg auf Everon.«
Caterina sagt: »Susanne, Schatz. Ich habe Tests zu Hause.«
Ich sehe sie an: »Du hast Tests zu Hause?«
Sie schmunzelt.
Ich habe ein wenig Angst, doch ich fühle mich zugleich männlicher als je zuvor. Meine Freundin hat Tests zu Hause.
»Wir werden es sehr bald wissen«, sagt Susanne, den Blick auf Sparkster und die Hand in der ihres Freundes.
Caterina und ich betreten den Raum vollends und schließen vor den restlichen 32 neugierigen Augen von draußen die Tür. Wir setzen uns auf den Teppich vor den Sessel. Der Teppich ist weich und riecht nach Teppichhäusern, in denen die Bodenbeläge auf gigantischen Rollen auf und ab gefahren werden. Er riecht nach Kindheit. Ich sitze am Freitagabend auf dem Teppich einer Berliner Wohnung, die absichtlich 15 Jahre in der Vergangenheit gehalten wird, und unterbreche eine Konferenz zur Gründung eines nie dagewesenen Taxiunternehmens, weil die Freundin meines besten Freundes sich an den Gedanken gewöhnen muss, Mutter zu werden, während ich die Hand meiner Freundin halte, die Teststreifen zu Hause hat und demnach genauso wie ich durch wortloses Nichtverhüten ebenfalls längst auf die Straße zum Mulch eingebogen ist. Wir sind alle bereit, Eltern zu werden, und sitzen auf einem blauen Teppich mit gelben Punkten vor einem Fernseher, auf dem eine blaue Ratte mit Fliegerbrille herumspringt, die programmiert wurde, als wir uns noch als Schüler in Mathe mit Kurvendiskussion plagten. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt. Es erzeugt Wärme im Bauch. Es macht die Knie schlottrig, aber zugleich hatte man noch nie einen festeren Stand.
»Gehen wir heim, es testen?«, fragt Hartmut.
Susanne nickt.
Wir schalten Sparkster ab, bringen das Meeting in zehn Minuten zu Ende, wie sich jedes Meeting in zehn Minuten zu Ende bringen lässt, wenn man es wirklich zu Ende bringen will, und fahren schnell heim, um in die Zukunft zu sehen.
Wir sind die Guten
Während Susanne im Bad den Test macht, hocken Caterina und ich vor der Playstation. Wir wollen Ai Ai endlich sicher über den Steg bringen, das sind wir dem Äffchen einfach schuldig. Wenn wir endlich eine Zukunft haben, hat auch das Äffchen verdient anzukommen. Hartmut läuft wie ein Tiger auf und ab, und Yannick folgt
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