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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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aus dem Nichts materialisiert hat, aber das ist bei Hartmut ja nichts Ungewöhnliches. Die Blicke der Kunden folgen der Flugbahn und landen bei ihm, der kopfschüttelnd ein paar Meter weiter steht.
    »Oh«, sagt er, »eine Kokosnuss. Würde ich nicht empfehlen. Viel zu hart zu knacken. Kann man überhaupt nicht mit einer Mandarine vergleichen. Hat man nur Arbeit mit. Der Saft ist sensationell, aber der Weg dorthin ist gespickt mit Schweiß und tyrannischer Widerspenstigkeit.«
    »Wer ist das denn?«, fragt der Geschenksucher.
    »Das ist sehr wahrscheinlich eine Performance. Hab ich letztens bei der langen Nacht der Museen aber eine bessere gesehen.«
    »Aha«, sagt der Geschenksucher, nimmt am Ende doch den Thriller vom Stapel und zieht mit seinem Berater von dannen.
    Hartmut klaubt die Früchte auf, geht zu einer Ecke mit Lesesesseln und wirft sich in ein Möbel hinein. »Sie sind unantastbar«, seufzt er. »Dumm wie Brot und glitschig wie Aale.«
    Ein Mann mit kurzem, grauem Haar sitzt einen Sessel weiter, die Brille auf den Kopf geschoben und die Augen in einem grauen, recht dünnen, wie ein gebundenes Magazin wirkenden Buch, dessen bildfreies Cover mit sehr viel Schrift übersät ist. Der Mann sagt, den Blick auf die Stelle gerichtet, an der Hartmut eben die Kokosnuss geworfen hat: »Selbst die Variation des Immergleichen ist ihnen noch nicht seriell genug. Sie applaudieren ihrer eigenen Borniertheit und halten das auch noch für kritisches Denken.«
    »Holla, die Waldfee!«, sagt Hartmut. »Wer spricht mir denn hier aus der Seele?«
    Der Mann antwortet nicht mit seinem Namen, sondern mit einem Zitat. Ich denke jedenfalls, dass es ein Zitat ist, denn andernfalls wüsste ich nicht, welche Drogen er nimmt. Er sagt: »Nur philiströs verstockter Aristenglaube könnte die Komplizität des künstlerischen Dingcharakters mit dem gesellschaftlichen verkennen und damit seine Unwahrheit, die Fetischisierung dessen, was an sich Prozess, ein Verhältnis zwischen Momenten ist.«
    Hartmut erwidert: »Wäre der Geist der Kunstwerke buchstäblich identisch mit deren sinnlichen Momenten und ihrer Organisation, so wäre er nichts als Inbegriff der Erscheinung.«
    Der Mann sagt: »Der Geist der Kunstwerke haftet an ihrer Gestalt, ist aber Geist nur, insofern er darüber hinausweist.« Er dreht seinen Sessel herum und gibt Hartmut die Hand, als hätte der beim Geheimtreffen zweier Agenten mit den verabredeten Codewörtern alles richtig gemacht. »Konrad, hallo.«
    »Hartmut.«
    »Warum sind Sie so sattelfest in Adorno? Gehören Sie zu den wenigen Unbeugsamen?«
    »Nein. Ich gehöre zu denen, die lieber Kokosnüsse um des Knackens willen knacken als sich ständig Marmelade reinzuziehen und dabei alle Zähne zu verlieren.«
    »Schade, ich dachte, es wäre für sie mehr als nur eine Puzzleaufgabe. Als solche rezipiert, konterkarieren Sie jede darin steckende Absicht.«
    »Wenn ich der Schrift eine klar festlegbare Absicht ohne Verschiebungen unterstelle, aber auch.«
    »Die hat sie aber.«
    »Sie bemerken den Widerspruch aber schon, oder?« Konrad dreht die Augen nach oben. »Ja. Mist. Ja ...« Ich sage: »Hartmut, du wirst Vater. Für so was haben wir keine Zeit mehr.«
    Hartmut sieht mich kurz an, als hätte ich etwas Tadelnswertes gesagt, dann wechselt sein Fokus von der Theorieschleife auf Pragmatisches. »Konrad, sind Sie ...«
    »Sag ruhig du.«
    »Okay, also bist du, verzeih die vulgäre begriffliche Vereinfachung, Kommunist?«
    Konrad zeigt Hartmut das Magazin, in dem er eben geblättert hat.
    Hartmut nickt. »Alles klar. Dann frage ich dich ganz offen: Hast du Zeit, in unserer neuzugründenden Firma mitzumachen?«
    Konrad lacht: »Fehlt euch der Quotenkommunist?« »Ja.«
    »Das kostet aber was.«
    »Natürlich. Du bist dann ja auch ein Angestellter.«
    »Auf dem Papier, ja. Aber gut, ein bisschen Geld kann ich gebrauchen. Die Bücher machen den Magen nicht voll, was?«
    Hartmut schreibt ihm unsere Kontaktdaten auf eine Quittung aus seinem Portemonnaie. »Wir müssen noch komplett renovieren, einkaufen, aufbauen, alles. Ich würde sagen, dass es frühestens im April losgeht. Es sei denn, du magst vorher beim Aufbau helfen.«
    »Aber sicher doch. Das ist wenigstens was Konkretes.«
    »Dann komm einfach ab morgen zum Gelände. Adresse steht da. Wir ziehen jetzt mal weiter. Geschenke für das Fest des Herrn kaufen.« Hartmut lacht, fast verbrüdernd, obwohl er der Welt dieses Mannes früher viel näherstand als heute.
    Ich nicke

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