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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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einigen Minuten erreichen wir den Trakt, den wir als Wohnung nutzen wollen. Ich bin mir nicht sicher, ob das legal ist, daher sage ich schnell, als der Mann seine breite Nase in das künftige Kinderzimmer steckt, in welchem der aus Susanne und Hartmut geformte Doppelkörper Schulter an Schulter die Wand weiß färbt, während Claas auf seiner Leiter den Michelangelo gibt: »Das wird die Kita!«
    Herr Frohn zieht die Augenbrauen hoch. »Sie bauen auch eine Kita?«
    »Aber natürlich. Wer jungen Eltern beiderlei Geschlechts heute nicht die Möglichkeit eröffnet, sofort nach Schlüpfen des Kindes wieder an die Arbeit zu gehen, lebt doch im vergangenen Jahrhundert!«
    Herr Frohn schaut Claas bei der Arbeit zu und macht einen Haken auf seiner Liste. Dann folgt er mit dem Blick Hartmuts und Susannes Farbrolle. Rauf, runter. Rauf, runter. Rauf, runter. Wie beim Tennis, wenn der Platz auf die Seite gekippt würde.
    »Und sie ist sogar schon schwanger«, sage ich und fühle mich langsam etwas würdelos. Ich will es nur eben nicht vergeigen. Das Ministerium ist mitleidslos, wenn es um richtiges Verhalten geht.
    »Wirklich? Schwanger?« Herr Frohn betritt den Raum, unterbricht die Malarbeiten, stellt sich vor und schüttelt Susanne und Hartmut die Hand. Dann prüft er einen Eimer. »Umweltfarbe. Sehr gut. Sie wissen, dass alles andere Ihrem Baby schaden könnte?«
    Susanne sieht zu mir herüber und macht einen »Verräteria-Blick. Dann lächelt sie Herrn Frohn an, wie man Nachbarn anlächelt, die nun einmal nicht ausziehen werden.
    »Haben Sie sich schon um einen Kindergartenplatz bemüht?«, fragt Herr Frohn. »Ich weiß, Sie bauen hier eine eigene Firmen-Kita, aber das Kind braucht einen richtigen Platz, während Sie arbeiten. Ich empfehle Ihnen eine Bewerbung in der Kita Keilrahmen, einer künstlerisch orientierten Tagesstätte. Dort beginnen sie mit Klavier und gegenständlicher Malerei im Alter von zwei. Die Streichinstrumente setzen mit drei ein, ebenso wie expressionistische Techniken. Mit vier dann erste eigene Kompositionen und die Öffnung ins Abstrakte. Oder die Kita Curie, ein eher naturwissenschaftliches Haus mit Chemie- und Physiklabor. Die Kita Zhi Cheng, parallele Sprachförderung in Deutsch und Chinesisch. Sie müssen sich bereits jetzt anmelden. In neun Monaten wird das zu spät sein.«
    Hartmut mustert den Mann von Hosenknopf bis Ohrenhaar.
    »Und sehen Sie zu, dass Sie das Kind in der pränatalen Phase nicht zu sehr mit schädlichen Eindrücken belasten. Kein Privatfernsehen in dieser Zeit und keine Heavy-Metal-Musik. Kein World of Warcraft, das wäre das Allerschlimmste. Versuchsreihen unseres Ministeriums haben klar bewiesen, dass es irreversible Schäden verursacht, wenn die Geräuschkulisse dieses Spieles auf ein wehrloses Ungeborenes im Mutterleib einprasselt.«
    Hartmuts Musterung ist abgeschlossen. Er sagt: »Sind Sie hier, um uns Erziehungsratschläge zu geben oder um unseren Firmenaufbau zu prüfen?«
    Herr Frohn zuckt kaum merklich zusammen, wie eine Nonne, in deren Gegenwart man nach 30 Minuten der frommen Plauderei urplötzlich den Namen »Darwin« erwähnt hat. Sein fürsorgliches Lächeln friert ein, er knipst mit seinem Kuli, hält die Liste vor seine Brust und räuspert sich. »Ähem. Sie haben einen Kleinwüchsigen, einen Vorbestraften, einen Marxisten und jede Menge Männer mit Migrationshintergrund.«
    »Das ist korrekt«, sagt Hartmut.
    »Das reicht nicht«, sagt Herr Frohn.
    Hartmut atmet schwer aus. Es ist dieses Ausatmen, das Bauherren an den Tag legen, wenn sie nach Fastvollendung des Hauses feststellen, dass für das Bad nur noch ein Quadratmeter übrig ist, wo es hätten zehn sein sollen.
    Herr Frohn sagt: »Sie erfüllen noch nicht annähernd die Quote. Sie müssen mehr streuen. Wo sind Ihre Einarmigen? Ihre Schizophrenen? Ihre Frauen?«

     
    »Hey«, sagt Susanne, »was ist das denn für eine Aufzählung?«
    »Das muss alles gleichmäßig verteilt werden«, sagt Herr Frohn, »es geht um ...«
    »Gerechtigkeit«, beendet Hartmut den Satz, »ja, ja, wir kümmern uns drum.« Er schiebt Herrn Frohn sanft aus der Tür. »Ich versichere Ihnen, wenn Sie zum Jahresbeginn wiederkommen, können Sie auf Ihrer Liste da viele wunderbar gleichmäßig verteilte Häkchen machen. Bitte lassen Sie uns bis dahin einfach umweltgerecht und materialgeprüft dieses Gelände restaurieren, okay?«
    Herr Frohn lässt sich schieben, vielleicht weil Hartmut kleiner ist als er und eine allzu starke

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