Feindesland
Zimmer in Pankow.«
»Was immer du willst, mein Schatz«, sagt Hartmut und legt seine Hand auf ihre.
Aus dem Stockwerk unter uns poltert der Beat von Warren G.s »Regulate«.
Die Schwiegersohntestlampe
»Warum seid ihr bloß immer im Kinderzimmer?«, schimpft Samir. Er steht in unserer zukünftigen Pankower Firmen- und Taxizentrale in der Tür zum Eckraum, der das Kinderzimmer werden soll, und hat augenscheinlich Fragen.
Ich stehe auf und gehe zu ihm. Im Zimmer streichen Hartmut und Susanne die linke Wand weiter, während Claas auf der rechten bereits ein Gemälde aufträgt. Es zeigt die Übergabe des Apfels im Paradies. Claas steht auf einer Leiter, um den schulterhohen Ast mit der Schlange zu malen, denn Claas ist kleinwüchsig. Ein Künstler mit Charme, guten Ideen und scharfer Intelligenz, die sich hinter einem entwaffnenden Hundeblick verstecken kann. Konrad hat ihn uns vermittelt.
»Was ist denn?«, frage ich Samir in der Tür.
»Mal abgesehen davon, dass im Sanitärbereich alle Leitungen marode sind, die Schlaglöcher auf dem Hof tiefer als euer Maler da groß und wir ohne genaue Vorstellungen von Susanne nicht mit der Werkstatthalle fortfahren können?«
»Ja, genau.«
Samir schüttelt den Kopf. Er zeigt den Flur hinab. »Draußen steht ein Mann von der Behörde. Er will einen Verantwortlichen sprechen.«
Ich schaue rüber zu Hartmut und Susanne. Sie haben gehört, was Samir gesagt hat, aber sie sind ins Streichen vertieft. Schulter an Schulter ziehen sie die Lammfellrollen über die Wand, synchron wie beim Wasserballett. Ihre Schultern lösen sich dabei nie voneinander. Nach jeder Bahn sehen sie sich an. Das Glück in ihren Augen ist alternativlos. »Ich geh schon«, sage ich.
Den Weg durch die Gebäude und über den Hof lege ich langsam zurück. Rufe mir ins Gedächtnis, wer ich bin und wer ich bald sein werde. Mitbetreiber eines Taxiunternehmens, Koordinator, Verantwortlicher. Herr über ein Hintergebäude, das uns als vorläufige Privat-WG dienen soll, ein Vordergebäude, in dem ein Büro und die Anrufzentrale untergebracht werden, eine Werkstatthalle, eine große Garage und einen Hof, der vorne fast die Hälfte eines Fußballfeldes misst und hinten mit seinem Asphalt in kleinen Gassen und Wegen zwischen die Gebäude fließt.
Verantwortlicher. Das fühlt sich gar nicht so schlecht an. Ich sehe Mario und seine Bekannten, wie sie in den Büroräumen Teppich verlegen. Ich sehe Samirs Kumpel, wie sie Löcher im Dach flicken. Ich sehe Cevats Automechanikerfreunde, wie sie in der künftigen Werkstatthalle vor einem Tapeziertisch mit großen Papierbögen stehen und Einrichtungsvarianten überlegen, bis Susanne kommt. Ich sehe unseren Quotenmarxisten Konrad, wie er vor der Zentrale mit einem Buch in der Hand in einem alten stoffbespannten Liegestuhl vom Sperrmüll sitzt und liest.
Im Eingang zum Gelände steht der Mann von der Behörde. Ich danke Samir und schicke ihn zurück an die Arbeit. Der Mann ist gut 1,90 Meter groß und hat graue Schläfen. Seine breiten Schultern stecken in einem gutgeschnittenen Anzug. Die paar Haare, die ihm aus den Ohren wachsen, lassen ihn nicht ungepflegt wirken, sondern unterstreichen seine gegerbte Autorität. Seine wuchtige, aus den Tiefen des Bauches resonierende Stimme haut jedes Wort klar wie eine Skulptur in die Luft.
»Guten Tag, ich bin Herr Frohn, vom Moralministerium. Ich überprüfe im Auftrag von Frau Mützenmacher vom Büro für Grüne Gründung Ihr Personal.«
»Tatsächlich? Tun Sie das?«
»Ja, das tue ich«, sagt er und tritt nun auf unser Gelände. Er geht auf das Bürogebäude zu, Konrad ebenso im Blick wie Samirs Freunde, die das Dach flicken.
»Unser Quotenmarxist«, flüstere ich ihm zu, doch das hat er schon bemerkt, denn er streicht eine Position auf einer vorgefertigten Liste ab. »Das sieht man«, sagt er.
Ich betrete mit ihm das Bürogebäude, wo Bodo in der bereits grundrestaurierten künftigen Zentrale frische, breite Elektroleis-ten an den Wänden anbringt, in welchen neben Steckdosen auch Buchsen zum Anschluss von Netzwerkkabeln für die Computer und Telefone Platz finden. Das Netzwerk wird er uns später gleich mit einrichten. Bodo ist ein alter Mitpraktikant von Mario. »Unser Vorbestrafter«, sage ich stolz, und Herr Frohn macht einen Haken in seiner Liste.
»Weswegen?«
»Computerhacking. Hat im Weihnachtsgeschäft 2003 für zwei Tage quelle.de und weltbild.de lahmgelegt.« Herr Frohn brummt und notiert.
Nach
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