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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Gegenwehr seinerseits als unterdrückerische Aktion gedeutet werden könnte. Es ist manchmal kompliziert, wie diese Leute denken.
    »Aber die Leute hier arbeiten alle zum Mindestlohn, richtig?«, sagt Herr Frohn auf dem Weg nach draußen, und Hartmut nickt: »Aber selbstverständlich. Mit staatlichen Zuschüssen durch Ihr Ministerium und das Büro für Grüne Gründung. Fragen Sie Frau Mützenmacher, es ist alles geregelt. Ich halte die Arbeiter zum Mittag von der Currywurst ab, dafür bekomme ich volle Zuschüsse zum Mindestlohn.«
    »Gut, gut.«
    In der künftigen Zentrale, in der Bodo gerade testweise das erste Telefon an eine der Buchsen in der Wandleiste anschließt, löst sich Herr Frohn von Hartmut und erklärt, dass er alleine hinausfindet. Kurz bevor er den Raum verlässt, dreht er sich noch einmal zu Hartmut: »Im Januar mache ich die Häkchen voll?«
    »Im Januar machen Sie die Häkchen voll!«
    Herr Frohn nickt, tippt sich an eine imaginäre Hutkrempe und verlässt unsere Firma.
    Erleichtert atmet Hartmut aus. Dann klingelt das erst vor zwei Sekunden von Bodo nur zu Testzwecken angeschlossene Telefon. Wir erschrecken alle vier wie Katzen bei Gewitter. Dann umkreisen wir das unheimliche Gerät. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann nimmt Hartmut ab. Er stellt auf laut. »Ja, hallo?«
    »Hartmut? Hier ist deine Mutter!«
    Hartmuts Augen vergrößern sich um 20 %, seine Koteletten sinken synchron dazu einen Hauch nach unten. »Woher hast du diese Nummer? Diese Nummer gibt es noch gar nicht.«
    »Ich bin deine Mutter.«
    »Natürlich ...«
    »Da bin ich ja froh, dass mein Kind noch lebt!« »Mama ...«
    »Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Als du mit deinem Freund bei uns die Regalhalter aus der Wohnzimmerwand gepörkelt hast? Beim Umzug?«
    »Ja, Mama.«
    »Weißt du überhaupt noch, wo Wesel liegt?«
    »Ich war voll beschäftigt, Mama. Ich bin beschäftigt. Ich habe ein Haus restauriert, ein Haus verkauft, eine Ausstellungsreihe veranstaltet. Gerade gründe ich ein Taxiunternehmen in Berlin.«
    »Ich weiß, dass du viel zu tun hast«, sagt Hartmuts Mutter, und ich frage mich, ob sie verstanden hat, was ihr Sohn gerade gesagt hat. Hartmut erwidert nichts. Seine Mutter sagt: »Die Familie fragt sich, ob sie dich jemals zu Gesicht bekommt. Es geht auf Weihnachten zu. Die Adventszeit ist angebrochen.«
    »Du fragst dich, ob du mich jemals noch zu Gesicht bekommst, Mama.«
    Kurze Stille im Hörer. Hartmuts Mutter zieht an einer Zigarette. Dann sagt sie: »Wir leben auch nicht ewig.« »Ach, Mama ...«

    »Ich weiß gar nicht mehr, wie mein Sohn aussieht.« »Mama, ich ...«
    »Ich weiß gar nicht mehr, was mein Sohn macht. Er könnte Häuser restaurieren und verkaufen und Unternehmen gründen, ich weiß es einfach nicht. Ich erfahre ja nichts mehr.«
    »Mama, ich habe doch gerade erzählt, dass ...«
    »Ich hatte schon fast vergessen, wie die Stimme meines Sohnes klingt ...«
    »Mama ...«
    »Du musst dir unbedingt überlegen, wie wir deine Geburtstage nachholen können. Zwei sind es schon. Ich denke, ich reserviere uns einen Tisch im Welcome und einen bei Marlene. Meinetwegen beides an einem Wochenende. Außerdem wäre es schön, wenn du mal einen Adventssonntag Zeit hättest. Die Omas würden sich sehr freuen. Überleg dir einfach, wann es dir passt, und dann frage ich den Rest der Familie, ob sie es einrichten können. Wenn der Neffe überhaupt mal kommt, macht man es möglich. Er kommt ja selten genug, da muss man flexibel sein ...«
    »Mama!«, sagt Hartmut in einem Tonfall, in dem man Hunde bändigt. »Ich werde Vater!«
    Susanne fällt die Kinnlade herunter. Hartmuts Mutter verschlägt es die Sprache. Aber nur kurz. Dann brandet ein gellender Jubel aus dem Hörer, den man bei gutem Ostwind auch ohne Telefonleitung bis nach Berlin hören dürfte.
    »Mein Sohn ist schwanger! O mein Gott! Dass ich das noch erleben darf!«
    »Nicht ich bin schwanger, sondern Susanne!«, sagt Hartmut, doch die Mutter tobt am anderen Ende der Leitung. Sie ruft den Vater, ein Kaffeeservice geht zu Bruch, ein Vogel schnattert in einem Käfig.
    »Ich werde Großmutter! Ich werde Großmutter!«
    Susanne schüttelt den Kopf, doch Hartmut zuckt mit den Schultern, als habe er keine Wahl gehabt.
    »Du musst zusehen, dass das Kind während der Schwangerschaft gut ernährt wird, hörst du? Wenig Fett, nicht zu viele Kohlehydrate und um Gottes willen kein Alkohol. Hast du über eine Unterwassergeburt nachgedacht? Welche

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