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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Fingerspitze auf ihren Bauch: »Susanne! Elternschaft! Kind! Großelternschaft!«
    Ich sage: »Ihr beiden! Mann von der Regierung! Benachteiligtenquote! Casting machen!«
    Bodo, der die ganze Zeit schweigsam in der Gegend gestanden und einen Kabelrest in den Fingern herumgedreht hat, sagt: »Ihr habt zu wenig Benachteiligte im Personal?«
    Ich nicke.

     
    »Dann kenne ich jemanden, der euch helfen kann. Hanns-Werner Schuh, ehemaliger Privatdetektiv und Boxpromoter. Arbeitet jetzt als Agent. Er vermittelt Benachteiligte an Unternehmer, damit sie die Gründungsquoten erfüllen können. Hat die Zeichen der Zeit erkannt. Ist nicht ganz billig, aber arbeitet nur auf Basis von Erfolgsprovisionen. Habe ihm schon mehrfach seinen Computer gerichtet, weil er ihn sich ständig mit Asche zerschrotet. Er raucht zu viel, das ist seine einzige Schwäche.«
    »Ist ja ekelig«, sagt Susanne.
    »Wo finden wir den Mann?«, frage ich.
    »Nähe Zoo, Belmondo-Hotel. Er ist dort Dauermieter. Fragt an der Rezeption nach ihm.«
     

Agent Schuh
    Wir besuchen Agent Schuh zu dritt. Den Menschen in der Firma können wir vertrauen, außerdem sei es entscheidend, dass in allen Belangen der Firmengründung die ganze Familie dabei ist, betont Hartmut. Caterina allerdings können wir jetzt nicht anrufen, sie ist immer noch bei Miller & Associates in die Ausarbeitung der Kampagne zum »Bösen Breichen« eingespannt. Na ja, und sie würde ohnehin um jedes Büro einen Bogen machen, dessen Computer immerfort repariert werden muss, weil er voller Zigarettenasche ist. Wir fahren mit der U-Bahn und steigen an der Station Wittenbergplatz neben dem Kaufhaus des Westens aus, um den Rest des Weges über den Kudamm bis ins Zooviertel zu Fuß zurückzulegen. Diese zwei Kilometer konventionelles Berlin gönnen wir uns, ein wenig »murpen«, ein bisschen Schlendern und Schauen, eine Dreiviertelstunde, aus der alle Zwecke und Zwänge hinausgeschoben werden. Die Abenddämmerung wattiert die Luft, und es riecht nach gebrannten Mandeln und Bratwürsten. Das KaDeWe ist im vollen Weihnachtsschmuck, und die Pünktlichen, die Eifrigen und Gezielten kaufen bereits Geschenke für die Festtage. Unwillkürlich muss ich an meine Mutter denken, meine Tante und meinen kleinen Cousin Dennis. Dekliniere im Kopf Geschenke durch, während ein Mädchen im roten Mantel sein Gesicht in einer Wolke aus Zuckerwatte verschwinden lässt. Ich denke an Joe-Cocker-Alben und Parfümflaschen, deren Glas wie eine Felswand strukturiert ist, während Hartmut den Arm um seine Susanne legt, ihr wie in einer Kaffeewerbung mit schwerelosem Lächeln irgendetwas schräg oben im Bild zeigt und davon spricht, was sie dem oder der Kleinen nächstes Jahr zum ersten Weihnachtsfest schenken werden. Selbst die Horde Vierzehnjähriger, die in übergroßen, bis zu den Knien reichenden 2Pac-T-Shirts an einem Glühweinstand Cola trinkt, wirkt in diesem Moment umarmenswert. Es wird Weihnachten. Ein Kind wird kommen. Wir gründen eine Firma. Beim Buchladen an der Ecke entdeckt Hartmut seinen eigenen Antiratgeber auf einem Stapel, der mit »Empfehlungen« überschrieben ist. Dass er zwischen den ernstgemeinten Lebensverbesserungsbüchern liegt, gegen die er in dem Buch angeschrieben hat, stört Hartmut in diesem Moment nicht. Er wird Vater, es wird Weihnachten, und »die brauchen nun mal ihre Schubladen«, wie er ganz abgeklärt bemerkt. »Würde Virginia Woolf heute leben, würde man sie auch zwischen die Frauenromane legen.«
     
    Wir spazieren noch bis zur Kreuzung am Bahnhof Zoo, biegen links ab, laufen an Bauzäunen vorbei, die mit Konzertankündigungen beklebt sind, und sehen auf der anderen Straßenseite das Beate-Uhse-Museum. Ein paar Handschellen liegen glitzernd auf rotem Tuch in einem der Schaufenster, und ich muss daran denken, wie ich Hartmut und Susanne damals in Bochum beim Spiel mit den Plüschhandschellen entdeckte. Mit ihnen hatte Susanne ihren Hartmut aus seinem Askese-Wahn geholt. Sie musste ihn erst fesseln, um ihn zu befreien. Nur ich weiß, wie sehr er damals manchmal gelitten hat, als er von einem Extrem ins andere fiel. Es sah lustig aus von außen, aber es hätte nicht so weitergehen können. Heute ist Hartmut immer noch impulsiv, aber er wird Vater. Ich bin stolz auf ihn. Dann drehen wir um.
    Das Hotel Belmondo hat eine steile, breite, mit rotem Teppich ausgelegte Empfangstreppe. Links geht es zur Rezeption, einer Holztheke, die so wuchtig ist, dass selbst eine große Schale mit Bonbons

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