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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Ford-Rallyewagen, zwei Lamborghinis und drei VW Käfer. Die Käfer sind mit Herzchen bemalt. Nur vorne, an der Motorhaube, sind Zähne dran.
    »Oben entwerfen sie eine Gestapo fürs BürgerVZ, und hier unten spielen sie mit der Carrerabahn«, flüstere ich.
    »Ja«, sagt Gerd und legt seine Hände auf meine Schultern, als könne ich sonst fallen, »wie sang Herbert Grönemeyer damals? >Kinder an die Macht.< Jetzt ist es Wirklichkeit geworden.«
     

Hörner abstoßen
    Wir haben gekündigt. Die Werbung liegt hinter uns. Um das zu verdauen, gehen wir den Weg bis zur Station Wedding zu Fuß. Hartmut, Caterina, Susanne und ich. Dynamisch schreiten wir nebeneinander der Kamera entgegen; würde man das Bild nun einfrieren, hätte man ein DVD-Cover für eine neue Serie namens »Die Vier«.
    Auf Höhe eines türkischen Fachgeschäfts für Scartkabelverlängerungen klingelt eine Telefonsäule genau in dem Moment, in dem wir an ihr vorbeigehen. Wir halten an. Hartmut runzelt die Stirn. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl in der Bauchgegend. Vorsichtig nähere ich mich der Säule und nehme ab.
    »Hallo?«
    »Hallo. Hier ist deine Mutter.«
    »Was?«
    »Deine Mutter. Kennst du doch noch, oder? Hochhaus und halbe Hähnchen.«
    »Mama? Wie kannst du? Das ist eine öffentliche Telefonsäule. Wie kannst du wissen, dass ... ?«
    »Ich bin deine Mutter.«
    »Ja, natürlich.«
    Es folgt eine längere Pause. Meine Mutter ist nicht so gesprächig wie die von Susanne. Obwohl wir beide ohne Väter aufgewachsen sind, darf man sagen: Meine Mutter ist die Antithese zu Susannes. Susannes Mutter lebt in einem denkmalgeschützten Haus in Köln-Weidenpesch, betreibt dort eine Kneipe im Erdgeschoss und ist äußerst gesellig. Meine Mutter lebt in einem Hochhaus am Weseler Hauptbahnhof, betreibt draußen im Grünen eine kleine Baumschule und spricht am liebsten mit Pflanzen. Beide Mütter hatten es nicht leicht. Susannes Mutter reagiert darauf mit Reden. Meine mit Schweigen.
    »Hallo? Mama? Bist du noch dran?«
    »Ja ...«
    »Ja, was ... wie geht es dir denn?«
    Statt einer Antwort höre ich einen langen Seufzer. Dann sagt sie: »Gut.« »Natürlich.« Sie schweigt.
    »Was machen Tante Judith und Dennis? Was macht Oma?« »Judith und Dennis geht's ganz gut. Oma hat Krach mit Frau Loschelder.«
    »Wieso denn das?«
    »Ach, Junge, das weiß ich auch nicht so genau.« Ich schweige. Sie auch.
    »Mama?« »Ja?«
    »Ja und, willst du denn nicht wissen, wie es bei uns aussieht?« »Doch, natürlich.«
    »Also, wir sind seit kurzem in Berlin und gründen jetzt hier eine Firma. Ein junges Taxiunternehmen. Deswegen habe ich mich so lange nicht gemeldet. Man erzählt ja besser nichts, solange es nicht fertig ist. Susanne ist schwanger, Hartmut wird Vater.«
    »Und du?«
    »Ich?«
    »Wirst du auch bald Vater?« »Ich weiß nicht, Mama.«
    »Überleg es dir gut. Du solltest dir vorher die Hörner abstoßen.«
    »Ach, Mutter ...« Stille.
    »Also Berlin?« »Ja, Mama.« »Hmmm.«
    Manchmal hat Susannes Mutter doch auch Vorteile, denke ich mir.
    »Am ersten Weihnachtstag bin ich bei Judith eingeladen. Heiligabend bin ich bei Oma, die kann ja nicht bei Frau Loschelder feiern.«
    »Weil die Streit haben.«
    »Ja.«
    Meine Mutter sagt nichts weiter, weil es diesmal wirklich nicht nötig ist. Ich weiß, was sie sagen will.
    »Ich weiß nicht, ob wir an den Feiertagen runterkommen können, Mama. Es ist dieses Jahr schwierig. Wir haben hier ein paar Probleme.«
    »Es wäre einfach nur schön.«
    Ich frage mich, ob Müttern klar ist, dass solche Sätze es einem schwerer machen als ein kräftiges »Du untreuer Hund, wenn du nicht mal an den Feiertagen in deine Heimat kommen kannst, enterben wir dich oder zwangsverheiraten dich mit einer Fleischfachverkäuferin aus Ginderich!«?
    »Wir sehen zu, okay, Mama? Ich sage dir Bescheid.«
    »Ja. Das ist schön.«
    Schweigen.
    »Ah, eins noch, mein Schatz«, sagt meine Mutter.
    »Ja?«
    »Ich hab da vor ein paar Wochen in der Zeitung so was von einem Riesenstau gelesen. Da hat jemand auf der Autobahn ein Kino aufgebaut und eine Rede gehalten.«
    »Äh, ja ...«
    »Das war Hartmut, oder?«
    Ich schmunzele. Ich brauche nichts weiter zu sagen. Ich spüre, wie Mutter nickt. Dann schweigt sie wieder. Fast eine Minute lang. Legt aber auch nicht auf.
    Im Laden hinter uns werden Scartkabel sortiert. »Du siehst zu, ja?«, sagt meine Mutter schließlich und meint die Feiertage. »Ich sehe zu.« »Bis bald, mein Junge.« »Bis bald, Mama.«

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