Feindesland
schwebend leicht. In dieser Diskrepanz liegt eine irrsinnige Spannung.«
Caterina sagt: »Schöne Idee. Beeindruckt mich aber weniger, als wenn jemand die Brücke von Arles malt.«
Ihre Mutter seufzt. »Wenn du unbedingt was sehen willst, das handwerklich meisterhaft ist und trotzdem konzeptuell durchdacht, dann schau dir die neue Schröter-Ausstellung an. Die arbeitet heute noch oder wieder mit der Scherenschnitt-Technik, kombiniert dann aber traditionelle Motive mit Firmenlogos, Graffiti oder Globalisierungsthemen. Ihre >Wildwuchs<-Reihe etwa, zerstörte Häuser, dargestellt in der Perfektion des Scherenschnitts. Sie nutzt ihn, und zugleich beraubt sie ihn mit den Motiven seiner verklärenden Wirkung.«
Caterina pustet Luft aus. Ihr rechter Fuß spielt mit einem Kiesel. »Wir sind in Berlin«, sagt sie, da ihre Mutter nicht fragt.
Die sagt: »Da ist doch gerade diese Retrospektive mit den russischen Konzeptualisten, oder?«
Caterina sagt: »Susanne ist schwanger.«
Ihre Mutter scheint verschwunden. Anders als ich fragt Caterina allerdings nicht nach, ob sie noch da ist. Sie wartet einfach ab. Irgendwann sagt ihre Mutter: »Wann wirst du eigentlich schwanger?«
Caterina lacht. »Danke«, sagt sie.
»Wieso danke?«
»Das war heute deine erste richtige Mutterfrage.« »Ach, Kind ...«
»Ich weiß es noch nicht, Mama.« »Was weißt du noch nicht?«
»Wann ich schwanger werde.« »Ach so.«
Ich beuge mich zu Caterina: »Frag sie, wann sie uns zu Weihnachten zu Besuch erwarten.« Ihre Mutter plappert derweil im Hörer zusammenhanglos über einen gewissen Anselm Kiefer. Caterina wischt mit der Hand vor mir herum, als kämen Wespen aus meinem Mund. Ich sage: »Wir müssen das doch abstimmen. Mit den anderen Eltern. Das sind immerhin drei Städte, die ...«
Caterina hält den Hörer ein Stück von sich weg und schimpft: »Ich kann nicht mit euch beiden gleichzeitig sprechen!«
Ihre Mutter und ich schweigen augenblicklich. Dann beginnen wir exakt im selben Moment wieder zu sprechen. Caterina wirbelt mit den Händen herum und macht ein Geräusch wie »Huarrrrlieeewallahiiiehuarlihu!«.
Dann schweigen wir wieder.
»Mutter, hast du noch was Konkretes?«
»Ja, der Kress fragte, ob du nicht doch mal hier bei uns in der Burg eine Ausstellung machen willst. Du weißt, der fragt mich das jedes Jahr, und ...«
»Dazu kennst du meine Haltung.«
»Ja.«
»Gut, Mum, dann muss ich jetzt hier weitermachen.«
»Okay, Kind. Ich muss mich auch fertig machen. Wir gehen heute Abend zu einer Walter-Gramatte-Ausstellung. Das ist auch so eine Wiederentdeckung.«
»Dann wünsche ich euch einen inspirierenden Abend.«
»Danke dir.«
»Tschüüüs!«
»Tschüss, mein Kind.«
Caterina knipst das Telefon aus.
»Wieso wünscht du ihnen nicht einfach nur >viel Spaß«, frage ich.
»Spaß ist meiner Mutter zu profan«, sagt Caterina, dreht sich um und geht wieder ein Stück auf die Werkstatthalle zu.
»Und warum erzählst du ihnen nicht von unserer Firma hier? Oder von Miller & Associates?«
»Aus dem gleichen Grund, weswegen ich ihnen die >Kunstpause< verschwiegen habe. Wir haben sehr verschiedene Vorstellungen von Kunst. Und das sagt sie mir auch. Sie will es gar nicht, es rutscht einfach aus ihr heraus. Wenn es dann passiert ist, sagt sie: >Kind, soll ich denn absichtlich unehrlich sein?<, dabei will sie eigentlich sagen: >Kind, es tut mir leid. Ich stehe hinter dir!< Das kann sie aber nicht, weil es ihr lieber ist, wenn Imi Knoebel simple Farbfelder malt. Was glaubst du, warum ich sie damals nicht um Unterstützung gebeten habe und stattdessen lieber in euer Institut zur Dequalifikation kam?«
»Dann darf ich deiner Mutter also dankbar sein?«
Sie lächelt ein wenig und streicht mir über die Wange.
»Und warum spricht sie dich nicht auf Weihnachten an? Das machen doch alle unsere Mütter. Deswegen rufen sie doch plötzlich alle an.«
»Weihnachten spielt für meine Eltern keine Rolle, das weißt du doch.«
»Letztes Jahr waren wir da!«
»Ja, weil ich das wollte. Jetzt wissen sie, ich bin in Berlin, habe zu tun. Wahrscheinlich fliegen sie über die Feiertage nach Australien. Schön Konzertbesuch in Sydneys Opernhaus.«
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es ist praktisch, ein Besuch weniger in unserer knappen Zeit, aber es ist auch traurig. In der Halle ertönt Hartmuts Schlussfanfare. Der Erste, der die Veranstaltung verlässt, ist der gedrungene Kurzhaarschnauzbart, der alle Mitarbeiter fotografiert
Weitere Kostenlose Bücher