Feindfahrt
Wenige Augenblicke später kamen Holzer und Endrass, um das Ruder zu übernehmen. »Hier haben Sie jetzt den Befehl, Sturm. Ich werde nachsehen, wie's unten aussieht.« Als Berger die Kajütentür erreichte , kam Richter den Niedergang herauf. »Bei den Schwestern ist alles in Ordnung?«
Richter nickte. »Sie sind nur durchgeschüttelt und haben Angst. Aber wir haben's mit einem anderen Problem zu tun, Käpt'n. Ein halber Meter Wasser in den Bilgen, und es steigt.« Berger wandte sich um und musterte seine Deutschland. Takel leinen schlugen im Wind, das Vor-Untermarssegel hatte sich losgerissen , so daß nur noch die Hälfte wie eine zerfetzte graue Flagge an der Rahnock flatterte. Hier und da ragten Planken aus dem Deck. Das ganze Schiff bebte als es mühselig eine weitere Riesenwoge erklomm und schon wieder von einer Bö getroffen wurde.
Richter wußte, was Berger dachte; er sah die Niederlage. »Hat
keinen Zweck mehr, Helmut, was ?« fragte ihn der Kapitän.
»Mit uns ist es aus.«
»Ich fürchte ja, Käpt'n.«
Berger nickte. »Lösen Sie Sturm ab. Er soll mit dem Funkgerät in meine Kajüte kommen.«
Necker war um fünf Uhr in Trondheim gestartet, und der Flug über Schottland in fünfunddreißigtausend Fuß Höhe, also hoch über den Unbilden des Wetters, war glatt und ereignislos ver laufen. Im Zielgebiet erwartete ihn jedoch eine ganz andere Lage.
Dicke Wolken ballten sich unter ihm; dunkel , drohend , mit Orange und grellem Rot durchsetzt, quollen und wirbelten sie wie brodelnder Qualm. »Die da unten scheinen's heute aber verdammt schwer zu haben«, sagte Schmidt. »Mein Englisch ist ja nicht besonders, aber ein SOS erkenne ich jederzeit. Au genblick, ich schalte Sie ein, Herr Hauptmann.« Jetzt kam wie der eine Wettermeldung.
Seegebiet Malin und Hebriden. Böiger Wind bis einhundert dreißig. Barometer neun-sieben-null, fallend.
Daraufhin sagte Schmidt: »Eins weiß ich jetzt mit Sicherheit, Herr Hauptmann: daß dieser Halifax-Konvoi kein Konvoi mehr ist. Den hat's bestimmt in Stücke gehauen.«
Necker jedoch, der auf die schwarzen Wolken starrte, dachte beunruhigt an die Deutschland. Er sagte zu Rudi: »Sie haben doch die Position, bei der wir die Deutschland gestern gesichtet haben, nicht wahr ? Sie wird im Durchschnitt, sagen wir, etwa zehn Knoten machen , Kurs Nordost bis Nord. Versuchen Sie mit einer ungefähren Berechnung ihren jetzigen Standort zu bestimmen.«
»Aber Herr Hauptmann , wir haben Befehl...« wollte Rudi pro testieren. »Schnauze! Tun Sie , was ich gesagt habe« , fuhr Ne cker ihn an. Nach wenigen Minuten gab Rudi ihm die ge wünschten Daten. Necker änderte sofort den Kurs und schaltete die Bordsprechanlage ein. »Hört mal zu, Leute. Man hat uns erzählt, dies sei das beste Allwetterflugzeug der Welt. Es soll sogar bei Orkanstürmen einsatzfähig sein. Und nun wollen wir doch mal sehen, ob das tatsächlich stimmt. Ich gehe jetzt runter in diese Suppe und werde feststellen, was aus der Deutschland geworden ist. Auf meine Verantwortung.«
Er drückte den Steuerknüppel nach vorn, bis die Ju ihre Nase senkte, und ging tiefer. Nach wenigen Minuten schon waren sie mitten drin in den Wolken, dem sintflutartigen Regen und den Blitzen. Immer tiefer gingen sie, bei gleichbleibender Ge schwindigkeit, von zahllosen Böen durchgeschüttelt. Necker mußte seine ganze Kraft aufwenden, um den Steuerknüppel zu halten. Einmal, als der Wind wieder mit einer Serie von Böen den Flugzeugrumpf attackierte, drohten sie abzuschmieren. Aber er bekam die Maschine wieder in die Gewalt und drückte sie von neuem nach unten.
Sie waren jetzt auf zehntausend Fuß und sanken weiter, immer tiefer in dieses dunkle, brodelnde Wolkenmeer. Rudi hatte sei ne Sauerstoffmaske abgenommen und starrte mit schneewei ßem Gesicht durch die Scheiben der Kanzel.
Dabei ist doch alles Zeitverschwendung, dachte Necker. Bei diesem Wetter war es höchst unwahrscheinlich, daß es der Deutschland gelang, Kurs zu halten; und ihre Geschwindigkeit konnten sie ohnehin nur schätzen. In dreitausend Fuß Höhe brach die Ju endlich durch die Wolken und befand sich plötz lich in einer geisterhaft beleuchteten Welt aus strömendem Regen und weiß schäumender See, die sich bis zum Horizont erstreckte. Und da war sie, die Deutschland: ungefähr eine hal be Meile südwestlich. Unglaublich , aber trotzdem wahr. »Rudi« , sagte Necker ruhig , »ich schulde Ihnen eine Flasche Schampus.« Dann drehte er scharf nach Backbord ab. Rudi
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