Feindfahrt
Boot gehen, Admiral - aber sonst nichts. Ich habe meine Besatzung.«
»Also jetzt hören Sie mal!« fuhr Reeve wütend auf. »Ich bin Bootsführer des Rettungsbootes von Fhada, Carey Reeve«, entgegnete der Alte ruhig. »Heute liegen Leben und Tod in meiner Hand -und zwar ausschließlich in meiner. Also nur bis zum Boot bringen , aber bitte keinen Schritt weiter.«
Reeve wandte sich an Gericke. »Bleiben Sie am Funkgerät. Ich komme zurück, sobald das Boot im Wasser ist.« Mit Reeve und Jago auf den Fersen ging Murdoch in den Sturm hinaus.
Oben auf dem Bergrücken der Insel blies der Sturm mit grau samer Gewalt, wie ein Lebewesen, das alles tat, was in seiner Macht stand, um die Draisine aufzuhalten. Es bedurfte der ver einten Kräfte von Murdoch und Jago, um einigermaßen voran
zukommen.
Als sie das Ende der Strecke oberhalb der Rettungsstation er reichten, bot ihnen die See einen Anblick, der ihnen den Atem nahm. Eine wild tobende Fläche weißschäumenden Wassers, in der, wie in Zeitlupe, eine turmhohe Woge nach der anderen heranrauschte. Hier und da in einem Wellental hinter der Ein fahrt zu der kleinen Bucht kamen die scharfen Zähne des ge fährlichen Riffs zum Vorschein.
»Glauben Sie, daß Sie es schaffen?« schrie Reeve dem alten Murdoch ins Ohr. »Vielleicht« , erwiderte der Bootsführer.
Bei der Rettungsstation drängten sich Menschen. Es waren fast ausschließlich Frauen und Kinder. Als die drei Männer den Pfad hinabeilten, hörten sie hinter sich hastige Schritte und wurden gleich darauf vom jungen Lachlan eingeholt. »Ich bin gekommen , sobald ich's gehört habe« , erklärte er atemlos. »Hinter mir kommt halb Mary's Town. Können Sie mich gebrauchen, Murdoch?«
»Wir sind zu sechst, Lachlan. Wir werden allein fertig.« Mur doch schob sich durch die Menschen und betrat das Bootshaus. Die Besatzung wartete bereits an Bord, angetan mit gelbem Ölzeug und Schwimmwesten.
Die Tore der Helling standen offen. Murdoch zog sein Ölzeug über und stieg ein paar Meter den Hang hinab bis zu einer Stel le, wo er die Einfahrt zur Bucht übersehen konnte. Dann blick te er zu seiner Besatzung hinauf.
»Es besteht eine kleine Chance, daß wir es schaffen. Eins zu zehn, würde ich sagen, aber wir müssen den Versuch einfach wagen. Da draußen ist ein Schiff in Seenot, das auch noch Frauen an Bord hat. Und wenn wir jetzt nicht rausfahren, fah ren wir überhaupt nicht mehr - jedenfalls nicht, wenn sich das Wetter hier weiter so schnell verschlechtert. Falls einer von euch es sich noch mal überlegen will, dann soll er jetzt den
Mund aufmachen und von Bord gehen.«
Der weißbärtige Francis Patterson erwiderte mit einem Anflug von Ungeduld: »Können wir jetzt endlich loswerfen, Murdoch, oder wollen wir hier den ganzen Tag rumquatschen?« »Dann also los«, sagte Murdoch und kletterte die Leiter hinauf. Die Frauen der kleinen Zuschauergruppe stiegen an den Strand hinunter; sie redeten aufgeregt, aber mit gedämpften Stimmen aufeinander ein. Einen Augenblick später erschien die Morag Sinclair in der Toröffnung des Bootshauses, glitt mit ziemli cher Geschwindigkeit die Helling hinunter und tauchte rau schend mit dem Bug ins Wasser , daß die Gischt haushoch em porspritzte.
Sie stampfte durch die schwere Dünung und stieg , als eine rie sige Woge durch die schmale Einfahrt zur Bucht hereinschlug , weit hinauf. Sekundenlang ragte wieder das Riff aus dem ko chenden Wasser. Die Menge schwieg; nur der Sturm heulte. »Es hat keinen Zweck«, sagte Reeve. »Sie schaffen's nicht. Das ist doch heller Wahnsinn. Die Wellen sind mindestens zehn Meter hoch. Wenn die im richtigen Moment zuschlagen, wer den sie das Boot zertrümmern.«
Aber die Mo rag tuckerte weiter, wurde mit Schwung durch die Einfahrt getragen. »Er will die nächste Welle benutzen, um sich über das Riff zu lassen«, rief Jago erregt.
Und es hätte vielleicht geklappt - mit einem kleinen bißchen Glück. Im selben Augenblick jedoch schlug wieder eine so heftige Bö zu, daß die Morag Sinclair sich aufbäumte. Dann wurde sie scharf nach Backbord herumgeworfen und schien hoch über den plötzlich freiliegenden schwarzen Felsnadeln auf dem Kamm der Woge zu schweben. »Sie läuft auf!« schrie Reeve bestürzt.
Eine gigantische Woge kam, zehn bis zwölf Meter hoch, in die Bucht hereingerollt und schob das Rettungsboot mit der Breit seite vor sich her. Dicht vor dem Strand setzte es auf, während das Wasser gurgelnd über das Boot hinwegschäumte und
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