Feindfahrt
richtete den Blick auf Marias Tür; als die Nadel in sein Fleisch eindrang, knurrte er nur ganz kurz. »Woher kommen Sie, Herr Richter?« »Aus Wien.«
Sie war verblüfft. »Ein Seemann aus Wien? Ich hätte nicht gedacht, daß es das gibt. Sind Sie von zu Hause fortgelaufen?« »Sie werden lachen, genau das habe ich getan«, antwortete Richter. »Mein Vater war Chirurg, falls es Sie interessiert, und für mich hatte er eine ähnliche Laufbahn ins Auge gefaßt.« »Aber Sie hatten natürlich andere Pläne. Sind Sie verheiratet?« »Nein« , antwortete er ruhig.
Die Nadel stach noch einmal zu. »Dann sollten Sie aber heira ten. Es ist gut für die Seele, Herr Richter. So, jetzt bin ich mit Ihnen fertig.«
»Seltsam«, antwortete er ihr, »ich dachte immer, es wäre gut für den Körper.«
Sie nahm sich zusammen und sagte ruhig: »Lassen Sie sie in Ruhe, Herr Richter. Sie kann Besseres mit ihrem Leben anfan gen.«
»Warum? Nur weil das bei Ihnen der Fall war?« Abrupt stand sie auf, nahm ihre Arzttasche und verschwand in ihrer Kabine. Richter blieb noch einen Moment sitzen. Als er ebenfalls auf stand, öffnete sich Marias Tür. »Geht es Ihnen jetzt wieder besser, Herr Richter?« fragte sie leise.
»Großartig, Fräulein Maria«, antwortete er. »Es ist mir noch nie so gut gegangen.«
Sie lächelte ihm noch einmal zu und schloß ihre Tür wieder. Richter nahm übermütig je zwei Stufen auf einmal, als er den Niedergang hinaufeilte.
Für Paul Gericke entwickelten sich die Dinge mit ungeheurer Geschwindigkeit. Zunächst eine vorläufige Vernehmung in Falmouth, während seine Kleider trockneten. Dann mit dem Auto nach Portsmouth, wo er dem Marine-Nachrichtendienst übergeben wurde. Man hatte ihn mit größtem Respekt behan delt. Schließlich war er ein bedeutender Fang: der berühmteste U-Boot-Kommandant seit Korvettenkapitän Kretschmer. Fünf Stunden lang hatten sie ihn abwechselnd vernommen - ohne den geringsten Erfolg . Gericke hatte sich stur auf die von der Genfer Konvention vorgeschriebenen Auskünfte zur Person beschränkt, darüber hinaus jedoch kein Wort gesagt . Kurz nach der Mittagszeit erklärte man ihm, er werde nun nach London überführt. Man transportierte ihn in einem Wagen der Marine-Militärpolizei , in Handschellen und mit einer schwer bewaffneten Eskorte , die aus einem Maat , zwei Matrosen und einem Oberleutnant z. S. bestand. So saß er also am Nachmit tag um halb fünf im PoW-Cage , dem Kriegsgefangenenge wahrsam des Distrikts London , einem Haus in Kensington Pa lace Gardens. Diesmal wurde er weniger gut behandelt , vor allem von dem Oberbootsmann , der ihn bei der Ankunft in Empfang nahm , einem massiv gebauten Mann von etwa sechs undvierzig Jahren , der Carver hieß und eine mehrfach gebro chene Boxernase hatte.
»Wenn's nach mir ginge , me in Sohn« , erklärte er Gericke , »ich würde nichts lieber tun , als mit Ihnen auf sechs Runden in den Ring steigen und dafür sorgen , daß Sie drin bleiben müssen bis zum letzten Gong.«
»Also ich weiß nicht so recht , Bootsmann« , gab ihm Gericke ruhig zurück. »Ich hätte eigentlich eher gedacht , daß Sie mit 'ner Flasche in der Hand in einer dunklen Seitengasse am be sten wären.«
Sekundenlang dachte er , Carver würde zuschlagen , aber es waren noch zwei Matrosen dabei. Der Oberbootsmann zitterte zwar vor Wut , begnügte sich jedoch damit , Gericke die Aus zeichnungen abzunehmen. Der Raum , in den er schließlich geführt wurde , war verhältnismäßig gemütlich. Eher Herren zimmer als Büro , die Wände voller Bücher, ein Feuer im Ka min, und das hohe Fenster, obwohl vergittert, bot einen Aus blick auf den Garten. Er wurde, immer noch in Handschellen, auf einen Stuhl vor dem breiten Schreibtisch gesetzt und harrte, von zwei Matrosen flankiert, ungeduldig der Dinge, die da kommen sollten. Nach einer Weile ging die Tür auf. Der Mann, der sich hinter den Schreibtisch begab, war aktiver Captain der Royal Navy. Er trug den Distinguished-Service-Orden sowie Ordensbänder aus dem Ersten Weltkrieg. Er hinkte stark und stützte sich schwer auf einen Spazierstock aus Ebenholz. Er legte zwei Aktenhefter auf den Tisch und sagte förmlich: »Commander Gericke, mein Name ist Vaughan.«
»Ich wünschte, ich könnte sagen, daß ich mich freue, Sie ken nenzulernen.«
Er nickte einem der Matrosen zu. »Sie können ihm die Hand schellen abnehmen. Und warten Sie draußen.«
Er wartete, bis seine Befehle befolgt worden waren, und setzte sich
Weitere Kostenlose Bücher