Feindfahrt
Augenblick stand er da, während ihm das Blut über die zerschnittene Wange lief, und sah stumm auf sie hinab; dann ging er mit seiner Last zum Niedergang.
Die anderen Nonnen , am Fuß des Niedergangs versammelt , machten ihm Platz. »Ist alles in Ordnung mit ihr , Herr Rich ter?« fragte ihn Schwester Regina.
Helmut Richter antwortete nicht. Er ging durch den Salon zu Marias Kabine, trat ein und legte sie auf die untere Koje. Als er nach einer Decke griff, um sie zuzudecken, begannen ihre Li der zu flattern. Sekundenlang starrte sie verständnislos ins Lee re, dann plötzlich erkannte sie ihn. »Herr Richter?« »Es ist al les gut«, tröstete er sie.
Er wollte gehen, doch sie brach in Panik aus. »Verlassen Sie mich nicht - bitte!«
Er nahm ihre Hand, kauerte sich neben die Koje und streichelte ihr wie einem Kind die Stirn. »Niemals«, versicherte er ihr leise. »Nie mehr, Maria. Und nun schlaf ein.«
Sie schloß die Augen; ihr Gesicht wurde friedlich, nach einer Weile atmete sie tief und regelmäßig, ihre Hand in der seinen wurde schlaff.
Als er sich erhob, sah er, daß die Nonnen , alle mit den gleichen erstaunten Mienen , durch den Türspalt hereinspähten. Schwe ster Angela stand bleich und gefaßt mit gefalteten Händen am Fußende der Koje. Er wartete auf eine Bemerkung von ihr , auf eine ihrer charakteristischen, nüchternen Bemerkungen, doch wie immer, überraschte sie ihn auch diesmal. »Sie sollten jetzt lieber mitkommen , Herr Richter« , sagte sie ruhig. »Wie ich sehe , m uß ich Sie wieder mal verarzten.«
U-235 tauchte im grauen Licht der Morgendämmerung an der Rendezvous-Boje eine Seemeile vor Bergen auf. Es bot einen merkwürdigen Anblick , denn dort, wo normalerweise der Bug war, ragte nur noch ein gezackter Stumpf von verbogenem und verrostetem Metall aus dem Wasser. Erst im Kanal hatten sie entdeckt, daß etwa acht Meter des Vorschiffs abgeknickt wor den waren, aber Friemel hatte es geschafft, den beschädigten Bootsteil abzustoßen, indem er so schnell wie möglich zwi schen volle Kraft voraus und volle Kraft zurück wechseln ließ. Der Rest der Fahrt war dann ein einziger Alptraum gewesen. Friemel hatte sechsunddreißig Stunden kein Auge zugemacht, und als er Engel jetzt die Leiter zur Brücke hinauffolgte, wirk ten seine Bewegungen wie ein Zeitlupenfilm.
Eine aus zwei bewaffneten Trawlern bestehende Eskorte kam ihnen mit blitzenden Signallampen entgegengejagt. Engel beo bachtete sie durch sein Glas, dann wandte er sich zu Friemel um. Sein Gesicht war grau, die Augen dunkel, ohne einen Fun ken Leben. Und der Verband auf seiner Stirn war auch nicht gerade geeignet, seine äußere Erscheinung zu verbessern.
»Geschafft, Herr Admiral?« »Offenbar.«
Hinter ihnen kam ein Matrose die Leiter heraufgehastet. »Funkspruch, Herr Admiral!«
Er wollte Friemel das Papier übergeben, doch der schüttelte den Kopf. »Lesen Sie«, bat er Oberleutnant Engel.
»Gut gemacht, Otto. Dönitz, Oberbefehlshaber der Kriegsma rine und BdU«, las Engel leise. »Das ist alles, Herr Admiral.« »Gut gemacht.« Friemel lachte bitter auf. »So kann man es auch nennen.«
Abermals geriet alles in Bewegung, als sich einige Minen räumboote zu einem Kreis um sie formierten. An der Reling standen die Männer und jubelten U-235 zu, das mit gedrossel ter Geschwindigkeit weiterstampfte.
Plötzlich drang von unten ein Schrei herauf, gedämpfte Jubel rufe ertönten. Dann hastende Schritte auf der Eisenleiter, und Heini Roth kam auf die Brücke gestürzt. In der Hand hielt er ein weiteres Blatt Papier, er war vor Aufregung schneeweiß . »Mann Gottes, was haben Sie denn?« erkundigte sich Friemel. »Noch ein FT vom BdU, Herr Admiral. Er lautet: Information von Abwehr , Gericke am neunzehnten PoW-Cage in London eingetroffene « Er drehte sich um und mußte sich , vollkommen überwältigt , schwer auf die Brückenreling stützen. Friemel zog ein zerdrücktes Zigarettenpäckchen aus der Brusttasche. Es war noch eine Zigarette drin , die er sorgfältig in seine Spitze steck te. Heini gab ihm mit zitternder Hand Feuer. Friemel inhalierte genüßlich, dann seufzte er tief auf. »Der letzte von diesen mie sen französischen Glimmstengeln , aber noch nie hat mir eine Zigarette so gut geschmeckt!«
7
Schonerbark DEUTSCHLAND, 20. September 1944. 46° 55' nördl. Breite, 17 ° 58' westl. Länge. Wieder eine schlimme Nacht. Windstärke 7. Regen und schwere See. Um vier Glasen der Morgenwache löste sich der Hauptklüver
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