Feindfahrt
vom Schothorn, und eine riesige See, die von Luv herankam, riß den Klü verbaum weg. Um zwei Glasen der Vormittagswache meldete Bootsmann Richter sechsundvierzig Zentimeter Wasser in den Bilgen. Ich befahl sofort, die Steuerbordwache von unten heraufzuholen und mit dem Lenzen zu beginnen. Erst um zwei Glasen der ersten Hundewache konnte Sturm Mel dung machen, daß aller Schaden behoben sei. Da Bootsmann Richters Wa che die DEUTSCHLAND
wieder trockengelenzt und der Wind sich ein wenig gelegt hatte, konnte ich sie wieder auf den ursprünglichen Kurs bringen lassen. Durch das Abtreiben leewärts hatten wir etwa vierzig Seemeilen verloren. Befinden uns etwa siebenhundert Meilen westlich der Biskaya.
Einen deutschen Kriegsgefangenen vor den Augen der Öffent lichkeit durch die Easton Station zu führen, galt als überaus wirksame Propaganda. Befehligt wurde die kleine Eskorte, die aus Carver sowie den beiden Vollmatrosen Wright und Hardi sty bestand, von Lieutenant Fisher. Alle vier trugen Gamaschen und Leinengürtel mit 38er Webley-Revolvern. Sie führten Ge ricke so selbstverständlich wie möglich durch die Menschen menge, nicht anders als einen einfachen Gefangenen der deut schen Marine. Die Handschellen verdeckte ein blauer, über die Schultern gehängter Regenmantel.
Fisher wies sich beim Zugführer aus und dieser brachte sie zu einem Gepäckwagen, dessen rückwärtiger Teil durch ein Me tallgitter abgegrenzt war. Dahinter lagen aufeinandergestapelte Postsäcke. Der Zugführer nahm einen Schlüssel heraus. »Wenn Sie wollen, können Sie ihn da einsperren.«
»Wunderbar«, antwortete Fisher. »Und den Schlüssel - kann
ich den behalten?«
»Aber sicher« , antwortete der Zugführer. »Ich habe noch einen Ersatzschlüssel. Die Post werden Sie uns ja wohl nicht steh len.« Er ging . Fisher schloß das Gitter auf, und Carver nickte Gericke betont höflich zu .
»Wenn Sie bitte so freundlich sein würden, Sir.« Gericke ging hinein, der Oberleutnant verschloß das Gitter und gab Carver den Schlüssel zur Aufbewahrung .
»Also, Bootsmann, Sie werden sich hier um alles kümmern . Ich will inzwischen mal nachsehen, ob ich Lieutenant Jago finde.«
»Lassen Sie sich nur ruhig Zeit, Sir. Wir werden uns hier schon einrichten«, antwortete Carver. »Verdammt viel besser als die anderen vorn im Zug.«
Fisher verschwand, und Carver steckte dem Vollmatrosen Har disty eine Pfundnote zu. »Sie und Ihr Kamerad, Sie gehen jetzt mal zum Bahnhofsbuffet und holen möglichst viele Sandwi ches - und Zigaretten.« »Aber wir haben doch schon einen ganzen Haufen aus der Kantine mitgebracht, Bootsmann«, wandte Hardisty vorsichtig ein. »Weiß ich, mein Sohn, weiß ich genau«, beruhigte ihn Carver. »Und das ist auch großartig, bis wir um zwei Uhr früh in Leeds oder sonstwo ankommen und feststellen müssen, daß alles längst leergefressen ist. Also tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.« Gericke lehnte an den Gitterstäben und las einen Anschlag an der Wand:
Bei Luftangriffen zu beachten:
1.) Bleiben Sie unbedingt im Zug, falls Sie vom Zugführer nicht zum Verlassen desselben aufgefordert werden. Sie befinden sich hier in größter Sicherheit.
2.) Ziehen Sie sofort die Rouleaus herunter, sowohl bei Tag als auch bei Nacht. Sie schützen sich dadurch vor Verletzungen durch Glassplitter.
3.) Falls genügend Raum vorhanden, legen Sie sich auf den Fußboden.
»Das hängt da nur wegen euch Scheißkerlen«, erklärte Carver. »Sagen Sie, Oberbootsmann«, begann Gericke, »wie lange sind Sie schon beim Militär?«
»Dreißig Jahre. Eingetreten neunzehnhundertvierzehn. Da war ich sechzehn.«
»Also sind Sie Berufssoldat.« Gericke nickte.
»Ich muß sagen, das überrascht mich. Denn der Krieg ist schließlich das tägliche Brot für Profis, während Sie offenbar etwas dagegen haben, daß wir uns in einem Krieg befinden. Vielleicht sind Sie damals nach dem Ersten Weltkrieg nur da beigeblieben, weil Sie eine schneidige Uniform tragen und in jedem Hafen ein Mädchen haben wollten.«
Carver schnappte fast über vor Wut. »Warte, du Schwein!« fluchte er aufgebracht.
In diesem Augenblick hörten sie beide Fishers Stimme. Der Lieutenant, der in Begleitung von Captain Vaughan und Harry Jago hereinkam, sah nur noch, wie Carver Gericke durch den Maschendraht eine Zigarette anbot.
»Rauchen Sie, Commander?« fragte er zuvorkommend. »Vie len Dank, sehr freundlich von Ihnen, Bootsmann.« Gerickte
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