Feindfahrt
Webeleinen ein. Maria stieß einen lauten Schrei aus. Die Webeleinen rissen, doch Richter griff nach einem Nie derholer und schwang sich daran mit wahrhaft artistischem Geschick zum nächsten Wanttau hinüber .
Dort blieb er einen Moment hängen, ehe er weiter nach oben stieg . W alz, der sich an der Rah festhielt, wartete gespannt auf ihn und beugte sich, als er in Reichweite kam, hinab, um mit dem Messer auf die Hand des Bootsmanns einzuhauen. Richter wich aus, doch Walz versetzte ihm einen Tritt an den Kopf. Richter rutschte ein Stück am Tau hinab, bis er sich, um die eigene Achse trudelnd , wieder fangen konnte. Maria starrte zu ihm hoch, die Knöchel der geballten Faust an den Zähnen. Sturm tat unwillkürlich einen Schritt nach vorn.
Berger jedoch griff ihn am Arm. »Lassen Sie ihn!« befahl er leise.
»Ich bitte Sie, Kapitän Berger«, sagte jetzt Schwester Angela, »tun Sie doch um Gottes willen was!«
»Und was würden Sie mir vorschlagen, Schwester?« fragte Berger, ohne den Blick auch nur eine Sekunde von der Szene oben zu wenden. Es war tatsächlich ein außergewöhnlicher Anblick: Wetterleuchten zuckte über den Horizont, auf jeder Mastspitze tanzte das unheimliche Elmsfeuer, und die geister hafte Phosphoreszenz der elektrischen Entladung lief an jedem Tau, jedem Stag entlang, hob Richter und Walz mit überdeutli cher Klarheit aus dem Dunkel der Nacht heraus. Mit unglaubli cher Kraft zog sich der Bootsmann Hand über Hand das Tau empor, packte nach der Untermarsrah und stand gleich darauf
fest und sicher in den Fußtauen.
Walz wich vor ihm zurück und kletterte weiter, auf die Ober marsrah zu. Das Licht der Blitze hatte inzwischen ein so grelles Weiß angenommen, daß es die Szene in das Gehirn der Zu schauer einzubrennen schien; dazwischen aber gab es immer wieder Augenblicke totaler Finsternis, als schaue man durch eine altmodische Kinematographenmaschine, bei der die Hand lung, Szene um Szene, ruckweise ablief. Als Walz die Rah erreicht hatte, schwang sich der Bootsmann seitwärts, zog sich auf das äußerste Ende der Rahnock hinauf und begann sich in den Fußtauen weiterzuschieben. Walz wich zurück, auf das andere Ende der Rahnock zu.
Richter war ihm jetzt ganz nahe gekommen. Er hing kaum ei nen Meter von Walz entfernt in den Fuß tauen, während der Koch blindlings mit dem Messer nach ihm hieb. Seine Klinge streifte die rechte Wange des Bootsmanns, doch Richter rückte unerbittlich vor, und Walz stieß einen verzweifelten Schrei aus. Er packte die Brasse des Großobermarssegels und sägte wild mit dem Messer daran herum. Das Tau riß, und die Rahnock, von ihrem Halt befreit, schwang gefährlich von einer Seite zur anderen, während das Segel luftleer zu flattern begann. Der Stoß hätte Richter eigentlich ins Leere schleudern müssen, doch es gelang ihm, sich vorübergehend auf der Unterbramrah in Sicherheit zu bringen .
Walz schwang unkontrolliert vor und zurück. Eine besonders heftige Rollbewegung der Deutschland warf ihn halb über die Rah hinaus. Er konnte sich nur noch halten, indem er rasch einen Arm ins Fußtau hakte.
Richter arbeitete sich hinter dem Unterbramsegel voran. Er hielt inne, praktisch in der Luft hängend, kalkulierte sorgfältig und wartete genau den Moment ab, da Walz am Ende der Rah nock weit über das Wasser hinausschwang.
Das Schiff holte über; Walz, der sehr schnell wieder zurück
pendelte , hing mit einem Arm im Fuß tau und hieb mit seinem Messer zu. Richter jedoch, mit jeder Hand ein Tau fassend , sprang ihm mit beiden Füßen ins Gesicht. Walz schrie laut auf und stürzte rücklings über die Rah ins Leere.
Er fiel steuerbords in einiger Entfernung vom Schiff ins Was ser . Sein Arm hob sich in stummem Hilferuf , aber die Deutsch land m achte trotz des wild flatternden Segels immer noch zehn Knoten, so daß er sehr schnell zurückfiel , im Dunkel ver schwand , von der See verschlungen wurde.
»Wir drehen bei , Sturm. Lassen Sie die Klüver fieren. Fockse gel , Marssegel , Bramsegel aufgeien. In einer Stunde möchte ich wieder unterwegs sein« , befahl Berger.
»Mehr haben Sie nicht zu sagen?« Schwester Angela fragte es leise , aber eindringlich. »Ein Mann ist tot.«
»Ich werde es ins Logbuch eintragen« , antwortete Berger unge rührt . Als Richter aufs Deck sprang, lief ihm Maria mit ausge breiteten Armen entgegen . Kaum ein, zwei Meter von ihm ent fernt begann sie zu schwanken und verlor das Bewußtsein. Richter fing sie gerade noch auf. Einen
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