Feindfahrt
all gemeines Durcheinander noch von Vorteil für ihn.« Fisher , der erleichtert war , daß ihm die Verantwortung abge nommen wurde , fr agte eifrig: »Was tun wir jetzt , Sir?« »Carver bleibt hier. Sie und ich , wir kehren zum Zugführerwa gen zurück und arbeiten uns noch einmal von dort nach vorn durch. Jedes Abteil , jede Toilette. Wenn er hier ist , werden wir ihn auch finden. Meiner Ansicht nach sitzt er in diesem Au genblick jedoch in der Straßenbahn und fährt zum Hafen von Glasgow , um sich ein portugiesisches oder spanisches Schiff zu suchen.«
»In deutscher Uniform?« fragte Janet ungläubig. »Damit über steht er keine fünf Minuten.«
»Im letzten Jahr ist ein Londoner Journalist in der Uniform eines SS-Obersturmführers durch die Oxford Street bis zum Piccadilly spaziert« , antwortete Jago grimmig. »Und kein Mensch hat sich um ihn gekümmert. Heutzutage wimmelt es überall nur so von Uniformen , daß die Leute völlig verwirrt sind.« Er nickte Fisher und Carver zu , die das Schlafwagenab teil verließen. »Du bleibst hier und hältst die Stellung. Ich bin bestimmt bald wieder zurück.«
Eine gute halbe Stunde später , als sich der Zug dem Nordufer des Loch Lomond näherte , kamen sie wieder in den Schlafwa gen. Fisher , noch blasser als zuvor , bot ein Bild tiefster Nie dergeschlagenheit. Carver blieb im Gang draußen stehen . »Na , kein Gericke?« erkundigte sich Janet. »Was dachtest du denn?«
Hinter Carver tauchte der Zugführer auf , ein alter Mann, der nur wegen des Krieges auf seinem Posten geblieben war. »Noch immer kein Glück, Sir?«
Jago schüttelte betrübt den Kopf. »Wenn er sich irgendwo ver steckt hat, dann bestimmt nicht in diesem Zug. Wir haben je den Winkel durchsucht.«
»Vielleicht doch nicht, Sir«, sagte der Zugführer. »In Glasgow ist an meinen Wagen hinten ein offener Güterwagen mit drei Jeeps für die Royal Navy in Mallaig angekoppelt worden. Mei nes Wissens gab es allerdings keine Möglichkeit für den Ge
fangenen, auf diesen Wagen raufzukommen.«
»Meinen Sie?« gab Jago zurück. Dann hob er den Arm und zog die Notbremse.
Für Gericke war die Fahrt auf dem Rücksitz eines der Jeeps auf dem offenen Güterwaggon bisher erstaunlich bequem verlau fen: Der Waggon bot ihm Schutz vor dem Regen, und die Aus sicht war wirklich atemberaubend - genau die Landschaft, wie er sie liebte.
Einen bestimmten Plan hatte er nicht; er ließ den Dingen ihren Lauf. Die Gelegenheit, Carver eins auszuwischen, war einfach zu günstig gewesen , um sie nicht zu nutzen , der Entschluß , wieder auf den Zug zu springen, so selbstverständlich, daß er gar nicht darüber nachgedacht hatte. Er war einfach, Kopf vor an, irgendwo in Deckung gegangen. Und ein Faktor wirkte sich für ihn günstig aus: daß nämlich Marineoffiziere, oder viel mehr ihre Uniformen, überall auf der Welt gleich aussahen. Er brauchte lediglich das Hakenkreuz und den Reichsadler vom Emblem an seiner Mütze zu entfernen. Und genau das tat er jetzt, mit den baumelnden Handschellen an einem Arm, als der Zug so heftig bremste , daß er vom Sitz geschleudert wurde. Das Spiel war aus, soviel schien sicher, denn der Zug hielt in einem langen , schmalen Einschnitt , dessen Seitenwände fast lotrecht in die Höhe stiegen. Dennoch wollte Gericke das Handtuch nicht werfen. Schließlich hatte er nichts zu verlieren. Er lief über den Güterwagen auf die verrostete Eisenleiter an der Rückwand des Zugführerwagens zu. Auf dem Dach fand er eine Laufplanke, die er entlangrannte; dann sprang er auf den nächsten Wagen hinüber, wobei er fast die Balance verlor. Auf dem Dach des dritten Wagens warf er sich flach auf den Bauch. Zunächst herrschte Stille; nur das Geräusch des Regens und das Zischen des Dampfes waren zu hören. Dann wurden Fen ster heruntergeknallt , Türen aufgestoßen und erregte Stimmen waren zu hören. Irgend jemand lief an den Schienen entlang. Dann hörte er Lieutenant Fisher sagen: »Diesmal kann er uns nicht entkommen.«
»Genau«, sagte Lieutenant Jago. »Also halten Sie sich zurück. Keine unnötige Spielerei mit der Waffe. Wir wollen ihn in ei nem Stück.« Sie liefen weiter. Gericke setzte alles auf eine Karte, ließ sich über den Dachrand gleiten und stieg die Leiter zur Brücke zwischen zwei Waggons hinab. Er öffnete die Tür des vor ihm liegenden und ging hinein. Der Gang war voller Menschen, zumeist Matrosen auf dem Weg zur Marinebasis Mallaig; neugierig beugten sie sich aus den Fenstern.
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