Feindfahrt
will mich nur schnell von Fisher und unserem Freund Gericke verabschieden. Dann komme ich wieder, und wir können frühstücken. Alles schon organisiert.«
Er verschwand, ehe sie antworten konnte. Sekundenlang blieb sie sitzen, dann stand sie auf, ließ das Rouleau hochschnappen und zog das Fenster herunter. Der Bahnsteig war fast unbelebt. Jago ging eilig auf eine kleine Gruppe zu, die aus Lieutenant Fisher und seiner Eskorte bestand. In ihrer Mitte, wieder den blauen Regenmantel über die Schultern gehängt, entdeckte sie Gericke.
Während sie zusah, traten Fisher und Jago zur Seite, so daß sie einen flüchtigen Blick auf Gerickes ironische Miene werfen konnte. Er wurde von Carver an der Schulter gepackt, erhielt einen kräftigen Stoß und betrat mit den anderen den Wartesaal, während Fisher und Jago noch auf dem Bahnsteig blieben und sich unterhielten. Janet schloß das Fenster und zog das Rouleau herunter. Als sie sich wieder dem Bett zuwandte, zitterte sie am ganzen Leib.
»Ich bin müde«, sagte sie leise. »Viel zu lange zu wenig Schlaf. Das ist alles.« Sie legte sich hin und deckte sich zu. »Ich hatte gehofft, Ihre Leute würden uns hier erwarten«, sagte draußen Fisher. »Möchte wissen, warum sie nicht da sind.«
»Das weiß der Teufel.« Jago warf einen Blick auf die Uhr. »He, ich muß wieder einsteigen. Der Zug kann jeden Moment abfahren.«
»Ehrlich, ich bin froh, wenn ich den Kerl loswerde«, seufzte Fisher. »Der hat so was Sonderbares an sich. Wie der einen ansieht...«
»Ja, ich weiß, was Sie meinen, Lieutenant.« Jago schüttelte ihm die Hand. »Jedenfalls eine gute Heimreise.«
Er stieg ein, während Fisher kehrtmachte und zum Wartesaal ging, wo in einem kleinen Kamin ein spärliches Kohlenfeuer brannte. Davor standen Hardisty und Wright, die sich aufzu wärmen versuchten und rauchten.
»Wo ist der Gefangene?« erkundigte sich Fisher.
»Wollte zur Toilette, Sir.« Hardisty wies auf eine grüne Tür mit der Aufschrift Gentlemen hinüber. »Der Bootsmann sagte, er würde das übernehmen.«
Gerade als Fisher sich umdrehte, wurde die Tür zur Toilette
aufgestoßen , und Carver kam zusammengekrümmt herausge taumelt. Er brachte kein Wort heraus , sein Mund öffnete und schloß sich zwar, aber er schnappte nur nach Luft.
Fisher packte ihn bei den Rockaufschlägen. »Was ist passiert , Mann - reden Sie!« befahl er verägert.
»Er... er ist weg , Sir« , stöhnte Carver, der sich vor Schmerzen den Unterleib hielt. »Dieses Schwein hat tatsächlich die Kurve gekratzt.«
Gericke hatte die Toilette aus völlig natürlichem Grund aufsu chen wollen. Eine Flucht schien ihm in diesem Stadium ziem lich ausgeschlossen zu sein, vor allem wegen der verdammten Handschellen. Was er dann tat, war eine rein spontane Hand lung gewesen, eine Gelegenheit, die er geistesgegenwärtig beim Schöpf packte.
»Das übernehme ich, Jungens.« Carver stieß ihn auf die Tür zu und öffnete sie mit einem Tritt. »Ihr beiden könnt ja inzwi schen eine Zigarette rauchen.«
Drinnen gab es eine Reihe Kabinen, ein Pissoir, ein abgestoße nes Waschbecken und darüber ein offenstehendes Fenster. Der Anblick dieses offenen Fensters war es, der Gericke zur Tat anregte . Der Oberbootsmann lehnte an der Toilettentür. »Na los. Beeilung!« drängte er.
Gericke trat auf eine Kabine zu, wandte sich um und streckte seine gefesselten Hände aus. »Bißchen unbequem, mit diesen Dingern.« »Ach so, Sie wollen 'ne längere Sitzung machen.« Carver lachte, suchte der Situation auch die letzte Möglichkeit zur Demütigung abzugewinnen. »Ich glaube, da können wir mal ein Auge zudrücken, Commander.« Er zog den Schlüssel aus der Tasche und öffnete eine der beiden Handschellen. »So, das genügt. Und natürlich werden Sie die Tür offen lassen. Unter den gegebenen Umständen haben Sie wohl nichts dage gen , wenn ich Ihnen dabei zusehe.«
»Vielen Dank , Bootsmann«, antwortete Gericke ruhig- und
knallte Carver das rechte Knie zwischen die Beine.
8
Schonerbark DEUTSCHLAND, 21. September 1944. 49°52' nördl. Breite, 14° 59' westl. Länge. Windstärke 5-6. Einzelne Böen. Starker Regen. Wir müs sen jetzt pro vierundzwanzig Stunden vier Stunden lenzen, aber das scheint zu genügen. Unsere Position ist jetzt schätzungsweise 220 Seemeilen süd westlich von Irland.
Fisher verließ die Gepäckabfertigung, gefolgt von dem hum pelnden Carver, und blieb vor der Wartesaaltür stehen. »Ver dammt, Carver, das werden Sie mir
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