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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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In den düstergrauen Mauern dieser Fabrik hatten Generationen von Petrefacts ihre kurze Lehrzeit absolviert, bevor sie sich, durch diese Erfahrung heilsam geläutert, befriedigenderen Beschäftigungen zuwandten. Für die restliche Bevölkerung änderte sich im Lauf der Jahre nur wenig. Buscott ist noch heute, was es immer war: eine winzige Industriestadt, isoliert vom übrigen England durch seine abgeschiedene Lage, den langsam versandenden alten Kanal, die Stillegung der Bahnstrecke und seltsamerweise durch den ungeheuren Fleiß seiner Einwohner. Was immer man heutzutage über England sagen mag, die Arbeiter in Buscott arbeiten. Den letzten Streik gab es hier im Jahr 1840. Er dauerte nur kurz und wurde nie wieder erwähnt. Als würden diese Absonderlichkeiten noch nicht ausreichen, tragen auch das Klima und die geographische Lage dazu bei, Buscott noch gründlicher abzuriegeln. Der Fernsehempfang spottet jeder Beschreibungund das Wetter ist so unbeständig, daß die Straßen im Winter häufig von Schneemassen versperrt und im Sommer außer von strapazengewohnten Wanderern allgemein gemieden werden. In der Verkleidung eines solchen näherte sich Waiden Yapp dem Städtchen. In kurzen Hosen, die bis unter die Knie reichten – ein Erbstück eines Onkels –, und mit einem schlaffen Rucksack wanderte er über das Heideland. Ab und zu blieb er stehen und ließ seinen Blick wohlwollend über die Landschaft gleiten. Heidekraut, Sumpfland, das Zutagetreten tieferer Erdschichten und gelegentliches Dickicht, das alles entsprach ganz genau seinen Erwartungen. So hatte er sich seine Annäherung an Buscott vorgestellt. Sogar die wenigen baufälligen Cottages, an denen er vorbeikam, erfüllten ihn mit Genugtuung und kündeten nostalgisch von der ländlichen Depopulation im achtzehnten Jahrhundert. Daß sie nie etwas anderes als Schäferhütten und Schafställe gewesen waren, entging Yapp, da er vorwiegend in den Kategorien der Proletarischen Geschichtsschreibung dachte. Dies Land war Petrefactland, und ehrliche kleine Bauern waren von diesem Grund und Boden vertrieben worden, um als Futter für die Mühle zu dienen und Platz für Waldhühner zu schaffen. Als Yapp das Tal von Bushampton erreichte, war er glücklich und zufrieden. Die Erinnerung an seinen Aufenthalt in Fawcett war verblaßt, seinen Scheck hatte er eingereicht, und in der Tasche trug er mehrere handgeschriebene Briefe Lord Petrefacts mit den genauen Namen seiner diversen Verwandten, die sich hoffentlich als ergiebige Informationsquellen erweisen würden. Freilich interessierte sich Yapp weniger für die persönlichen Erinnerungen von Plutokraten als für die objektiven sozio- ökonomischen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, und mit jedem Schritt wuchs seine Überzeugung, daß Buscott ihm quasi als Mikrokosmos jene konkreten Daten liefern würde, die er als Bestätigung für die in der Universitätsbibliothek angestellten Nachforschungen so dringend brauchte.
    Wochenlang hatte er Doris mit allen Fakten gefuttert, die er finden konnte: daß die Bevölkerungsstatistik seit 1801 eine mehr oder minder konstante Population nachwies; daß die neue Mühle bis vor kurzem derart hochwertige und preisgünstige Baumwollerzeugnisse produziert hatte, daß sie ungleich länger mit ausländischen Herstellern konkurrieren konnte als andere englische Fabriken; daß über die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung bei den Petrefacts angestellt war; und daß neunzig Prozent aller Haushalte in Häusern untergebracht waren, die dieser verdammenswert allgegenwärtigen Sippe gehörten. Sogar die Geschäfte der Stadt waren Eigentum der Petrefacts, und soweit Yapp feststellen konnte, bestand durchaus die Chance, noch ein Entlohnungssystem in Form von Naturalien anzutreffen. Nichts sollte ihn wundern, wie er dem Computer im Rahmen einer Zusammenfassung seiner vorläufigen Erkenntnisse anvertraut hatte. Wie üblich war Doris so freundlich gewesen, ihm zuzustimmen.
    Doch wie so oft standen auch diesmal Yapps Theorien in einigem Widerspruch zu den Tatsachen. Als er den letzten Anstieg in Angriff nahm und von oben auf das Tal hinabblickte, konnte er zu seiner Enttäuschung keinerlei Anzeichen für Verwahrlosung einerseits und protzigen Reichtum andererseits entdecken, die die Trennung zwischen der Stadt und ihren Eigentümern markiert hätten. Aus dieser Entfernung wirkte Buscott irritierend hell und freundlich. Zwar gab es das New House auf dem Hügel und unten die erwarteten Arbeiterhäuschen;

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