Feine Milde
es im INTERKIDS-Büro und hatte tatsächlich Glück. Frau Versteyl war dort, weil sie »ein bißchen Ordnung machen wollte«, aber als sie ankamen, saß sie mitten in dem Durcheinander leer geräumter Regale und offener Schubladen und wirkte ziemlich aus den Fugen geraten.
Van Appeldorn nickte Astrid auffordernd zu; er wollte ihr bei dem Gespräch den Vortritt lassen – sie konnte es nicht glauben.
Frau Versteyl lamentierte zusammenhanglos über die Schicksalsschläge, die ihren Verein in den letzten Wochen getroffen hatten, schlang rastlos die Hände umeinander, wollte sich nicht beruhigen, und Astrid hatte Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen.
»Waren Sie am Freitag, den 29. Juli, hier im Büro?«
Van Appeldorn zog die Stirn in Falten. Das war offenbar nicht die Frage, mit der er angefangen hätte, aber er hielt sich gnädig zurück.
»Freitag, neunundzwanzigster Juli«, wiederholte die Frau dümmlich.
»Das war der Tag, an dem die beiden toten Säuglinge am Kartenspielerweg gefunden wurden«, half ihr Astrid auf die Sprünge.
»Ach ja, jetzt weiß ich.« Dina Versteyls Blick verfinsterte sich. »Aber ich verstehe das alles nicht. Ich verstehe rein gar nichts mehr. Was haben wir mit all dem zu tun?«
»Die beiden Kinder wurden über INTERKIDS vermittelt«, erklärte Astrid bedächtig.
»Nein!« Sie sah Astrid streng ins Gesicht. »Sie täuschen sich, das weiß ich genau. Unsere Kinder kamen immer mit dem Flugzeug, und die meisten sind sogar von den Eltern persönlich abgeholt worden. Fast alle eigentlich.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Außerdem sollen diese Kinder doch aus Bulgarien gekommen sein. INTERKIDS hat aber überhaupt keine Kontakte dorthin.«
»Doch, INTERKIDS hat durchaus Kontakte nach Bulgarien.«
»Dummes Zeug! Das müßte ich doch wohl wissen.«
»Sie hatten also Zugang zu allen Akten?«
»Aber ja! Ich habe doch Herrn Maywald voll vertreten, wenn er im Urlaub oder sonstwie verhindert war.«
»Die bulgarischen Kinder sind nicht über die Bücher gelaufen, Frau Versteyl.«
Sie brauchte eine Weile, das zu verdauen.
»Was?« kam es dann leise. »Aber das wäre ja Betrug.«
»Genau«, schnauzte van Appeldorn. »So nennt man das.« Die Frau zerrte an seinen Nerven – so einfältig konnte doch kein Mensch sein.
Sie schaute ihn an wie geprügelt, stand dann auf, humpelte zum Fenster und sah hinaus. Heute trug sie einen Rock, und Astrid sah, daß ihr rechtes Bein so dünn war wie das eines zehnjährigen Kindes und der Fuß in einem plumpen, hohen Schuh steckte.
Sie drehte sich wieder zu ihnen herum. »Das hätte ich von Herrn Maywald nie gedacht. Für den Mann hätte ich jederzeit meine Hand ins Feuer gelegt.«
»Wollen Sie sich nicht wieder setzen?« Astrid wartete.
»Kommen wir also zurück zu besagtem Freitag …«
Frau Versteyl fuhr sich über die Augen. »Wenn ich es jetzt so überlege, war das schon seltsam.« Man konnte ihr genau ansehen, wie ihr ein Licht nach dem nächsten aufging. »Ich wollte an dem Tag eigentlich gar nicht ins Büro kommen, aber dann hatte ich nachmittags auf einmal doch noch Zeit. Herr Maywald hatte furchtbar schlechte Laune, als ich kam, und hat mich quasi gleich wieder nach Hause geschickt. Er müsse noch den Jahresbericht für die MEILE-Versammlung an dem Abend schreiben, und er brauchte Ruhe dafür.« Sie stockte. »Der wollte mich nicht hier haben, wenn die Kinder ankommen!«
»Kannten Sie Heiderose Jansen?« fiel ihr van Appeldorn ins Wort.
Dina Versteyl sah ihn bestürzt an, schluckte. »Stimmt das, was man so munkelt? War das Brandstiftung?«
»Ja, das stimmt.« Keine Silbe zuviel.
Sie schluchzte auf, sah sich fahrig um, fing an zu weinen. »Es ist so furchtbar! Die armen Kinder.«
Astrid fand Tempotücher in ihrer Handtasche und hielt ihr eins hin. »Waren Sie mit Frau Jansen befreundet?«
Dina Versteyl wischte sich die Augen trocken. »Gott, sie hat mir immer so leid getan. Wie die sich das Leben schwer gemacht hat. Was wird denn jetzt aus den Kindern? Daß ihr jemand so was antut!«
»Womit wir beim Thema wären«, sagte van Appeldorn.
»Jemand hat den Brand gelegt. Haben Sie eine Idee, wer dieser Jemand gewesen sein kann?«
»Um Gottes willen, nein!«
Astrid fragte nach dem Mann, der bei Heidi Jansen hatte einziehen wollen, aber davon wußte Dina Versteyl nichts.
»So nahe haben wir uns nicht gestanden.«
»Hatte Frau Jansen eigentlich auch etwas mit INTERKIDSzu tun?«
»Nein, im Grunde nicht. Ich meine, sie kam
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