Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
suche nach Raven, weil ich ihm die Innereien
einzeln rausreißen will. Und das kann ich ebenso gut bei einem offenen Kampf machen, wie wenn ich ihm durch die
Wälder nachschleichen und seinen Leuten aus dem Weg gehen muss.«
»Da hast du dir ja einiges vorgenommen, Junge.«
»Ich weiß, aber es ist eine Privatsache.«
»Dann brauchst du Folgendes«, sagte Creed, als der Wirt
ihnen zwei Bier brachte. Tal zahlte, und Creed fuhr fort: »Du
brauchst genug Gold, um fünfzig Männer für drei Monate zu
bezahlen, von den Prämien nicht zu reden.«
»Das wäre zu schaffen.«
»Dann brauchst du Vorräte, Wagen – mindestens zwei –
und Maultiere. Wenn du ein paar Pioniere auftreiben kannst,
wären die teurer, aber sie könnten auch Leben retten und es
Raven oder den anderen Truppen viel schwerer machen, einfach durchzubrechen.«
»Weiter«, sagte Tal.
Creed redete weiter, Tal saugte jedes Wort auf und verbrachte den ganzen Nachmittag damit zu planen. Bei Sonnenuntergang brachte der Wirt ihnen etwas zu essen, und die beiden unterhielten sich noch bis tief in die Nacht.
Im Morgengrauen ritt ein Trupp von Männern langsam über
den Pass. Creed zog den schweren Wollumhang fester um
sich und sagte: »Wir werden beobachtet, Tal.«
»Ich weiß. Schon etwa eine Stunde, seit wir über die Anhöhe gekommen sind.«
Sie hatten Latagore eine Woche zuvor verlassen, vierzig
Schwertkämpfer und Bogenschützen, ein Dutzend Pioniere,
ein halbes Dutzend Lastenträger und zwei Wagen. Sie zogen
nur langsam weiter, und Tal schickte keine Späher mehr aus,
denn er wollte nicht bedrohlich wirken, wenn sie das Land der
Orodon erreichten.
An der Grenze zwischen Latagore und dem OrodonTerritorium hatten sie ihr Lager vor einem kleinen Gasthaus
aufgeschlagen, und dort hatte Tal versucht, so viel wie möglich über das Land auf der anderen Seite der Berge in Erfahrung zu bringen. Sie hatten drei Tage gebraucht, bis sie die
Wiese erreicht hatten, auf der sie die letzte Nacht verbracht
hatten, und dann hatten sie eine Stunde vor Sonnenaufgang
dieses Lager abgebrochen.
»Wenn der Wirt wusste, wovon er redet«, sagte Creed,
»sollte das erste Dorf fünf Meilen entfernt liegen.«
»Näher, denke ich«, erklärte Tal. »Sie würden keine
Wachposten so weit entfernt aufstellen.«
»Es sei denn, sie erwarten Ärger«, erwiderte Creed.
Sie ritten weiter, als die Sonne aufging, und als sie die Gebirgsausläufer erreichten, kam Tal die Landschaft recht vertraut vor. In der Ferne konnte er den Dunst sehen, der über
dem Meer hing, aber zwischen der Küste und ihrem derzeitigen Standort erinnerte ihn das Land quälend an seine heimatlichen Berge. In der Ferne sah er Rauch aufsteigen. »Herdfeuer«, murmelte er. Den Männern zugewandt, sagte er: »Ruht
Euch hier aus, bis ich wiederkomme, aber macht es euch nicht
allzu bequem.«
Die Männer rissen ein paar Witze, aber Tal war ihr Hauptmann und bezahlte sie gut, also gehorchten sie. Creed hatte
Tal überredet, die Rolle des Hauptmanns selbst zu übernehmen, denn er behauptete, ansonsten würde es nur Unruhe geben. Männer, die Seite an Seite oder manchmal auch gegeneinander gekämpft hatten, nahmen nicht gerne Befehle von einem
der Ihren entgegen, aber ein junger Hauptmann, der offensichtlich aus adliger Familie stammte, war etwas anderes – besonders, wenn er gut zahlte und einen Teil davon sogar im Voraus.
Talon ritt langsam weiter, denn er wollte nicht nervös wirken. Er spürte, dass man ihn beobachtete, und wenn er näher
zu dem Orodon-Dorf kam, würden viele Blicke auf ihn gerichtet sein, von Pfeilen und Schwertern gar nicht zu reden.
Dann sah er die Palisade. Das Tor war geschlossen. Er
konnte zwar niemanden auf dem Wall entdecken, aber er
wusste, dass sie da waren, ebenso wie andere Krieger im
Wald hinter ihm ihn genau im Auge behielten, als er auf die
Lichtung hinausritt.
Er kam in Bogenschussweite des Tores und stieg ab. Statt
etwas zu sagen, hockte er sich einfach hin, das Gewicht überwiegend auf dem rechten Fuß, den linken ein wenig nach vorn
gestreckt, um im Gleichgewicht zu bleiben, wie man es bei
seinem Volk gemacht hatte. Er wartete.
Beinahe eine Stunde verging, bevor das Tor aufging und
ein einzelner Mann herauskam. Er war etwa Ende fünfzig,
denn sein Haar war überwiegend silbergrau, aber er war immer noch stark und bewegte sich geschmeidig. Er ging auf Tal
zu und ließ sich dann auf ähnliche Art vor ihm nieder, ohne
ein Wort zu sprechen.
Tal sagte langsam in
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