Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
hinunter auf die Lichtung vor der Palisade. Die
Pioniere hatten Fallgruben gegraben und mit Segeltuch zugedeckt; dann hatten sie zur Tarnung eine dünne Schicht Erde
auf das Segeltuch geschaufelt, und der Wind und leichter
Schneefall vor zwei Tagen hatten die Gruben schließlich vollkommen verborgen. Es gab einen unauffällig aussehenden
Zweig, der fünfzig Schritte von der Palisade entfernt im Boden steckte, und einen großen Stein am Rand der Lichtung.
Vom Stein zum Zweig und vom Zweig zum Tor verlief der
sichere Weg, ansonsten riskierte man, in einer der Gruben
gepfählt zu werden.
Tal dachte über die Verteidigung des Dorfes nach und erkannte, dass er Glück gehabt hatte: Das Dorf hatte nur zwei
Wälle, die leicht angegriffen werden könnten – im Süden und
im Westen, wo sich das Haupttor befand. Hinter dem Nordwall fiel das Gelände steil ab, und es sollte eigentlich unmöglich sein, dass eine ganze Truppe von Männern dort heraufklettern könnte; zwei Bogenschützen sollten leicht im Stande
sein, mit jedem Feind fertig zu werden, der dumm genug war,
das Dorf von dort aus angreifen zu wollen. Hinter dem Ostwall klaffte eine Schlucht, deren steile Wände sechzig Fuß
tief abfielen.
Die Pioniere hatten zwei massive Katapulte gebaut. Diese
Männer hatten Tal fasziniert, denn sie waren nur mit ein paar
schlichten Werkzeugen, Seilen, Nägeln und Bolzen in den
Wald gegangen und drei Tage später mit beeindruckenden
Geräten zurückgekehrt. Ihr Anführer, ein Mann namens
Gaskle, erklärte, wenn sie eine gute Schmiede, ein wenig Eisenerz und eine Esse hätten, könnten sie in einer Woche eine
richtige Steinschleudermaschine bauen, aber Tal ging davon
aus, dass diese einfacheren Katapulte genügen würden, denn
sie würden wahrscheinlich nur eine einzige Gelegenheit haben, Steine auf die Angreifer niederregnen zu lassen, bevor
Raven und seine Männer sich zurückzogen.
Wenn er die Palisade hinabschaute, konnte Tal sehen, wie
die Pioniere die Palisade verstärkt hatten, für den Fall, dass
die Angreifer eine Ramme benutzen würden. Es war unwahrscheinlich, dass sie eine schwere Ramme mit Schutzdach mitbringen würden, aber sie würden es vielleicht mit einem dicken Baumstamm mit Holzrädern versuchen, den sie den Hügel hinab auf das Tor zurollen konnten. Eine solche improvisierte Ramme würde an den Verstärkungen abprallen, wenn
sie nicht ohnehin in den Gruben stecken blieb, die sich auf
dem Weg befanden. Tal stellte zufrieden fest, dass sie nun
alles erledigt hatten, was getan werden konnte.
Also warteten sie. Späher hatten vor zwei Tagen Nachricht von Gruppen bewaffneter Männer geschickt, die die
südlichen Pässe überquerten und sich auf einer Wiese einen
halben Tagesritt entfernt im Süden sammelten. Tal warf einen Blick zum Himmel. Es war nun Vormittag, und der Angriff konnte jederzeit erfolgen. Er warf einen Blick zum
Südwall. John Creed nickte ihm zu. Im Wald dort war nichts
zu sehen.
Tal dachte nach. Er war kein Experte für Taktik oder Strategie, er hatte nur bei seinen Studien in Salador ein paar Bücher darüber gelesen, und er hatte keinerlei praktische Erfahrung in Kriegsführung. Seine Fähigkeiten mit dem Schwert
hatte er sich als Duellant erworben, und er war alles andere
als sicher, ob ihm das auf einem echten Schlachtfeld helfen
würde. Deshalb verließ er sich auf John Creed und dessen
Erfahrung. Es gab in seiner Söldnertruppe keine Ränge, aber
es war allen anderen Männern klar, dass Creed der inoffizielle
stellvertretende Kommandant war.
Im Augenblick standen dreißig seiner Leute in den Eingängen der Häuser oder unterhalb der Palisade und warteten
darauf, dass der Kampf begann. Tal hatte jeweils zehn Männer zu den nächsten beiden Dörfern geschickt, zusammen mit
den Pionieren, um sich auch dort um die Verteidigungsanlagen zu kümmern.
Wenn man den Gerüchten glauben durfte, war mehr als eine Söldnertruppe auf dem Weg nach Norden, wahrscheinlich
zwei, vielleicht auch drei. Tal wurde hin und wieder von
Angst befallen, dass Raven und seine Leute sich einem anderen Dorf zuwenden und Queala einer anderen Söldnertruppe
überlassen würden, was ihm die Gelegenheit nehmen würde,
sich an dem Söldnerführer zu rächen. Er versuchte jedoch,
nicht daran zu denken und sich damit zufrieden zu geben, was
das Schicksal für ihn bereithielt. Auf jeden Fall würde er die
Orodon davor bewahren, das gleiche Schicksal zu erleiden
wie die Orosini. Und er
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