Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
hätte vorstellen
können. Aber ich habe keinerlei Begabung zur Magie.«
»Weißt du das sicher?«, fragte Caleb beinahe beiläufig, als
wäre das ein ziemlich unwichtiges Thema.
»Bei meinem Volk gab es nur sehr wenige, die die Berufung zum Schamanen hatten, einer Art magischem Priester.
Alle Kinder werden schon in den ersten Jahren geprüft, und
die, die dieses Talent haben, verlassen ihre Dörfer bereits als
Kinder, um von den Schamanen ausgebildet zu werden. Bei
meinem Volk gibt es nur eine Hand voll, und sie …« Plötzlich
konnte Talon nicht mehr weiter, schluckte und sagte: »Es ist
ohne Bedeutung. Sie sind alle tot.« Er spürte, wie ihm Tränen
in die Augen traten, und blinzelte. »Es ist eine Weile her, seit
ich mich so gefühlt habe.«
Caleb nickte. »Es wird niemals vollkommen verschwinden.
Aber du wirst andere Dinge im Leben entdecken.« Er hielt
einen Moment inne. »Was ich sagen wollte, ist: Ich habe mich
zwar schon lange von den eingebildeten Kränkungen meiner
Jugend erholt, aber Frauen verstehe ich deshalb immer noch
nicht besser. Ebenso wie du war auch ich ein ›Außenseiter‹,
als ich in diesen Teil der Welt kam, und hatte keine Ahnung,
wie ich mich verhalten sollte.« Er trank einen Schluck, dann
sagte er: »Andererseits kann das Lernen manchmal auch sehr
erfreulich sein.«
Talon grinste. »Das stimmt. Lela ist …«
»Lela. Ein lebhaftes Mädchen, das kann ich dir sagen«, erklärte Caleb.
»Woher weißt du …«
»Was?«
Talon versuchte, seine Gedanken in Worte zu fassen. Nach
einem langen Schweigen beugte er sich vor und sagte: »Bei
den Orosini werden die jungen Leute von den Eltern verheiratet. Ich habe keine Eltern, und ich weiß nichts über Lelas Eltern.«
Caleb unterbrach ihn. »Du denkst daran, sie zu heiraten?«
Talon blinzelte, als wäre er überrascht, dass jemand es so
ausdrückte, aber schließlich nickte er. »Ich weiß nicht, was
ich tun soll.«
Caleb sagte leise: »Sprich mit Robert.«
Talon nickte.
Dann fügte Caleb hinzu: »Aber ich muss dich warnen; ich
glaube nicht, dass es wirklich passieren wird, auch nicht, falls
Lela einwilligen sollte, was ich nicht glaube.«
»Aber sie liebt mich!«, rief Talon laut genug, dass zwei
Lastenträger sich umdrehten und ihn ansahen. Mit einem Lachen und einer unverschämten Bemerkung wandten sie sich
dann wieder ihrem Gespräch zu.
»Wie ich schon sagte, ich bin kein Frauenexperte, Talon.
Aber eins muss ich dir sagen: Du bist nicht der Erste, der Lela
das Bett wärmt.«
»Das weiß ich«, erwiderte Talon.
Caleb lehnte sich zurück und schien nachzudenken. Nach
einer Weile erklärte er: »Was zwischen einem Mann und einer
Frau vorgeht, geht nur die beiden etwas an. Aber eins will ich
dir sagen: Du kennst einige der Männer, die in Lelas Armen
gelegen haben.«
Talon blinzelte, als hätte er darüber noch nicht nachgedacht. »Gibbs?« Caleb nickte. »Lars?« Caleb nickte abermals.
Talon sagte: »Aber Lars ist mit Meggie zusammen.«
»Jetzt, aber sie streiten sich oft; Meggie hat nicht gerade
ein sonniges Gemüt. Sie hat ihre guten Eigenschaften, aber sie
kann schwierig sein.«
»Aber so etwas ist nicht recht!«, sagte Talon.
»Talon, es geht hier nicht um richtig oder falsch. Solche
Dinge sind eben, wie sie sind. Bei deinem Volk werden die
Gefährten von den Eltern ausgesucht, und du hast vielleicht
dein ganzes Leben lang nur eine Frau, aber hier …« Er seufzte. »Hier ist es anders.«
Talon war bedrückt.
Caleb sagte: »Du solltest wissen, dass auch ich schon mit
Lela geschlafen habe.«
Talon war schockiert. »Du!«
»Am letzten Mittsommertag, dem Tag, an dem Pasko und
Robert dich gefunden haben, haben Lela und ich zu viel Bier
getrunken und schließlich die Nacht zusammen verbracht.
Ähnliches ist mit ein paar gut aussehenden Reisenden passiert.«
Talon blickte drein, als wäre seine ganze Welt zusammengebrochen. »Ist sie eine … wie sagt man?«
»Was denn?«
»Eine Frau, die sich für Geld zu Männern legt.«
»Eine Hure«, half Caleb ihm aus. »Nein, mein junger
Freund, das ist sie nicht. Aber sie ist ein gesundes Mädchen,
das Männer mag, und sie kommt aus einem Land, wo die Leute nicht lange darüber nachdenken, ob sie nun rein zum Vergnügen mit jemandem ins Bett gehen oder nicht.«
Talon spürte, wie sich dort, wo sein Magen war, eine Leere
auftat. »Das ist einfach nicht richtig«, murmelte er.
Caleb sagte: »Geh und wasch dir die Hände.« Er zeigte auf
die Tür zur Küche. »Das Essen
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