Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
Gesichter, und mir fallen die Namen nicht mehr
ein. Das ist der Fluch eines langen Lebens. Aber du warst
vielleicht schon verflucht, bevor du mit der Göttin
sprachst.«
»Wie das?«
»Wie ich sagte, ich habe jeden überlebt, den ich in
meiner Jugend kannte. Meine Familie hat kaum diese
Bezeichnung verdient, meine Mutter starb vor meinem
Vater, aber er hat sie nicht lange überlebt. Es zählte
nicht, denn ich hatte sie seit mehr als dreißig Jahren nicht
mehr gesehen, und ich hatte auch keine Brüder oder
Schwestern.« Er zuckte die Achseln. »Aber das bedeutet
nicht, dass ich nicht gelernt habe, andere zu lieben, Pug.
Und sie zu verlieren tut immer weh. Es gibt einen alten
Isalani-Segen, der bei der Geburt eines Kindes gesprochen wird: ›Großvater stirbt, Vater stirbt und Sohn
stirbt.‹ Es ist ein Segen, weil es die natürliche Ordnung
ausdrückt. Ich bin selbst nie Vater gewesen, also kann
ich mir nicht einmal vorstellen, wie es für dich war, William und Gamina zu verlieren. Aber ich erinnere mich,
wie erschüttert du warst. Das habe ich gesehen. Ich sah,
was es für dich bedeutete, sie zu verlieren.«
Nakor schüttelte den Kopf, als versuchte er, die richtigen Worte zu finden. »Aber ich habe eine Frau verloren,
zweimal. Das erste Mal verlor ich sie, als sie mich verließ, um mehr Macht zu suchen. Und das zweite Mal …
ich habe sie getötet, Pug. Ich habe Jorma getötet. Der
Körper, in dem ich sie kannte, war schon Jahrzehnte zuvor gestorben, und sie bewohnte den Körper eines Mannes, als ich ihrem Leben ein Ende machte«, sagte Nakor
mit einem bedauernden Lachen. »Aber das änderte nichts
an der Tatsache, dass sie jemand war, den ich sehr geliebt
hatte.« Er sah Pug an, und seine Augen glänzten, als er
weitersprach. »Du, ich und Tomas, wir wurden von den
Göttern zu etwas auserwählt, und diese Ehre hat ihren
Preis. Aber ich muss einfach glauben, dass sie uns diese
Aufgabe gestellt haben, weil sie erfüllt werden muss.
Vielleicht ist es Eitelkeit, aber es sind nur wir drei. Nicht
Miranda, nicht Magnus, niemand sonst. Nur wir drei.«
»Warum?«
»Das wissen nur die Götter«, erwiderte Nakor mit einem boshaften Kichern. »Und sie sagen uns nicht die
Wahrheit.«
Pug stand auf und bedeutete Nakor, dass es Zeit war,
zur Villa zurückzukehren. »Sie lügen uns an?«
»Nun, zumindest sagen sie uns nicht alles. Bedenke
doch, wem Kaspar auf den Gipfeln der Ratn’garies begegnete.«
»Kalkin.«
»Ja. Banath, der Gott der Diebe … und Betrüger und
Lügner …«
»Also denkst du, dass die Dasati vielleicht nicht die
große Gefahr sind, als die Kalkin sie dargestellt hat?«
»Oh, ich denke immer noch, dass sie all das und mehr
sind, aber ich denke auch, Kalkin hat Kaspar nur gezeigt,
was er ihn sehen lassen wollte. Die Götter haben ihre
Gründe, da bin ich sicher, aber ich würde gerne sehen,
was Kaspar in dieser Vision nicht sehen konnte.«
Pug legte die Hand auf Nakors Schulter. »Du schlägst
doch nicht etwa vor, was ich denke, dass du vorschlägst?«
Nakor grinste. »Noch nicht, aber wir werden die Dasati-Welt vielleicht tatsächlich einmal besuchen müssen.«
Pug blieb einen Moment reglos stehen, dann ging er
weiter. »Absichtlich einen Spalt zur Welt der Dasati öffnen? Könnte es etwas Leichtsinnigeres geben?«
»Ich bin sicher, es gibt etwas. Es fällt uns nur im Augenblick nicht ein.« Nakor lachte.
Pug lachte mit ihm. »Ich bin nicht überzeugt, Nakor.
Das könnte die schlechteste Idee in der Geschichte wirklich schlechter Ideen sein.«
Nakor lachte erneut. »Mag sein, aber was, wenn unsere Reise dorthin die Dasati davon abhält, hierher zu
kommen?«
Pug hörte abrupt auf zu lachen. »Was, wenn …« Er
ging mit nachdenklichem Blick weiter und sagte dann:
»Vielleicht ist es tatsächlich etwas, woran wir denken
sollten.«
»Gut. Und wenn wir schon dabei sind, wann wirst du
mir mehr über diese Botschaften von deinem zukünftigen
Ich erzählen?«
»Bald, mein Freund«, sagte Pug. »Bald.« Er blickte
zur Nachmittagssonne auf, die die Wellen zum Glitzern
brachte. »Ich frage mich, wie es Caleb und den anderen
in Kesh ergeht. Wir haben seit Tagen nichts mehr von
ihnen gehört.«
»Oh, ich bin sicher, wir wussten es, wenn etwas Wichtiges passiert wäre.«
Caleb warf sich nach links, als der Attentäter die Spitze
seines Schwerts durch die Luft trieb und knapp seine
Brust verfehlte. Caleb ignorierte den glühenden Schmerz
in seiner linken Schulter, als sie gegen die
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