Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
seinen
Armen auf und ab, aber dabei sahen sie sich nervös im
Raum um. »Sucht nicht nach jemandem«, flüsterte Tal.
»Seht mich an.«
Amafi kehrte einen Augenblick später zurück und sagte: »Im nächsten Stockwerk, Euer Wohlgeboren, das
Zimmer am Ende des Flurs.«
Tal nahm den Schlüssel und wusste, dass der Mann im
Garten oder der, der sich schlafend stellte, ein Duplikat
haben würde. Er flüsterte Amafi zu: »Folge dem schlafenden Mann, wenn er aufsteht. Wenn er die Tür erreicht,
hilf ihm, den Raum zu betreten.«
Tal brachte die Mädchen nach oben, und sobald sie im
Zimmer waren, bedeutete er ihnen, sich so weit wie möglich von der Tür zu entfernen. Er war dankbar, dass es
sich um ein großes Zimmer handelte. Ein Fenster ging
auf den Garten hinaus, direkt oberhalb der Ecke, wo
Amafi die Strickleiter angebracht hatte. Wie in den meisten Häusern in Kesh gab es kein Glas in den Fenstern,
nur hölzerne Läden.
Tal sagte: »Gebt mir die Tropfen.«
Die Rothaarige reichte ihm eine kleine Phiole, und Tal
nahm seinen Geldbeutel heraus. »Hier sind ungefähr
dreihundert Goldmünzen«, sagte er und warf der Dunkelhaarigen den Beutel zu. »Wenn ich es euch sage, verschwindet ihr schnell, aber es darf nicht so aussehen, als
würdet ihr fliehen. Wenn ihr lange genug leben wollt, um
dieses Gold auszugeben, kehrt nicht in euer Bordell zurück oder wo immer ihr wohnt – dort wird jemand auf
euch warten. Wartet, bis im Morgengrauen der Markt
öffnet, und kauft euch Gewänder, wie sie die Frauen der
Jal-Pur tragen. Bedeckt euch, so dass nur noch eure Augen zu sehen sind. Dann mietet euch von der Söldnergilde einen Wächter – er sollte nicht mehr als zehn
Goldstücke kosten.«
Während er sprach, versuchte Tal, jeden Winkel des
Raums in sich aufzunehmen: das große Bett, die beiden
Tische, einer auf jeder Seite, und einen irdenen Krug, in
dem man Wein oder Bier kühlen konnte.
»Geht mit der ersten Karawane nach Norden. Und
wenn ihr könnt, versucht ins Königreich, nach Queg,
Roldem oder zu irgendeinem anderen Ort zu gelangen,
der nicht im Kaiserreich liegt. Dann werdet ihr vielleicht
überleben.«
Die Dunkelhaarige sah erneut aus, als würde sie gleich
ohnmächtig werden. »Kesh verlassen? Was sollen wir
tun?«
Tal lächelte. »Genau das, was ihr getan habt, seit eure
Eltern euch rausgeworfen haben, Mädchen. Schlaft mit
Männern für Geld. Wenn ihr klug seid, solltet ihr euch
einen reichen Ehemann suchen, bevor ihr euer gutes
Aussehen verliert. Oder euer Gold gut anlegen. Und das
ist alles an Ratschlägen, was ich euch geben kann, denn
ich glaube, wir werden hier gleich einen unwillkommenen Besucher haben. Ihr beiden geht jetzt rüber zum Bett
und redet, als spieltet ihr mit einem Kunden.«
Tal ging zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit, damit er sehen konnte, ob jemand den Flur entlangkam. Er
wartete geduldig, während die Mädchen schwatzten und
sich gewaltig anstrengten, trotz ihrer Angst vergnügt zu
klingen.
Beinahe eine halbe Stunde verging, bevor am Ende der
Treppe eine Gestalt auftauchte. Wie Tal angenommen
hatte, war es der Kerl, der sich schlafend gestellt hatte.
Als der Mann etwa die Hälfte des Flurs zurückgelegt
hatte, erschien Amafi hinter ihm. Der ehemalige Attentäter hatte zwar kein Interesse mehr, für seinen Lebensunterhalt zu töten, aber er wusste immer noch, was er tat. Er
duckte sich hinter eine Säule, einen Augenblick bevor
der Nachtgreifer sich umdrehte, um nachzusehen, ob man
ihn verfolgte, und Tal staunte über die Fähigkeiten des
alten Mörders. Er hatte gesehen, wie Amafi sich in den
Schatten dieser Säule bewegte, aber er konnte nicht se
hen, wo er jetzt war.
Der Nachtgreifer war nur noch ein paar Fuß von der
Tür entfernt, und Tal winkte den Mädchen. Die Rothaarige zwang sich zu einem Kichern, und das Lachen der
Dunkelhaarigen klang gezwungen, aber das schien dem
Nachtgreifer nicht aufzufallen.
Als der Mann nahe genug war, um zu bemerken, dass
die Tür ein wenig offen stand, kam Amafi aus seinem
Versteck und hatte ihn mit zwei Schritten erreicht.
Der Nachtgreifer musste gespürt haben, dass sich jemand näherte, denn er drehte sich in letzter Sekunde um,
und in seiner Hand erschien wie durch Magie eine Klinge. Amafi entging dem Aufgespießtwerden nur um Haaresbreite.
Tal zögerte nicht. Er riss die Tür auf und schlug dem
Mann mit dem Schwertknauf auf den Kopf, und der
Nachtgreifer sackte zusammen. Tal packte ihn unter den
Armen, Amafi nahm die Füße, und sie trugen ihn
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