Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 5
ist?«
Der Diener verbeugte sich. »Herr, Euer Vater verlangt, dass Ihr Euch sofort zu ihm begebt.« Er deutete auf einen Stuhl, auf dem Kleidung bereitlag. »Er
bittet Euch, diese Kleidung zu tragen, die Eurem
neuen Rang entspricht.«
Valko stand auf, und es gelang ihm kaum, das Gesicht nicht schmerzerfüllt zu verziehen. Er warf einen
Blick zur Seite, ob der Diener diese Spur von
Schwäche bemerkt hatte, und sah eine ausdruckslose
Miene. Der Mann war noch jung, vielleicht nur wenig älter als Valkos siebzehn Jahre, aber offenbar
schon sehr geübt, was seine Rolle als Diener in einem großen Haus anging. »Wie heißt du?«
»Nolun, Herr.«
»Ich werde einen Leibdiener brauchen. Du wirst
genügen.«
Nolun erreichte beinahe den Boden, als er sich
verbeugte. »Ich danke dem jungen Herrn für diese
Ehre, aber der Vogt wird Euch bald einen Leibdiener
schicken, Herr.«
»Das hat er bereits«, sagte Valko. »Du wirst genügen.«
Wieder verbeugte sich Nolun. »Ihr ehrt mich sehr,
Herr.«
»Führe mich zur Halle meines Vaters.«
Der Diener verbeugte sich, öffnete die Tür, ließ
Valko hindurchgehen und eilte dann vor ihn, um ihn
zur Haupthalle der Burg seines Vaters zu führen. Als
Anwärter auf Anerkennung seiner Position als Sohn
hatte man Valko zunächst ins »Armenquartier« gebracht, in die Räume, die für die Machtlosen bestimmt waren und für jene, deren Rang niedrig genug
war, dass es nichts ausmachte, sie zu beleidigen:
nützliche Kaufleute, Behandler, Unterhalter und sehr
unwichtige Verwandte. Diese Zimmer waren kaum
mehr als karge Zellen mit Strohmatratzen und einer
einzelnen Laterne.
Valko vermisste bereits sein neues Bett, das
weichste, in dem er je gelegen hatte. In den Jahren
des Verbergens hatte er selten auf etwas Besserem
geschlafen als dem Strohsack, der in den »Armenquartieren« auf ihn gewartet hatte.
Als sie um eine Ecke kamen, zögerte Valko einen
Moment. »Nolun, warte.«
Der Diener drehte sich um und sah seinen neuen
jungen Herrn aus einem großen Fenster schauen, das
auf das Heplanische Meer hinausging. Hinter der
Stadt Camareen und ihrem Hafen glitzerte das Wasser in der Nacht, und die Energie der Bewegung verursachte auf der Oberfläche ein Farbenspiel, das der
Junge nie zuvor gesehen hatte. Seine Mutter hatte ihn
zum Versteck in den Bergen gebracht, und er hatte
das Meer nur kurz auf seinem Weg in die Stadt gesehen. Die Größe dieses Gewässers war beeindruckend, als er es von den Gipfeln und Pässen der
Schneehüter herab sah, wie die Berge genannt wurden, aber nichts hatte ihn auf die reine Schönheit des
Meeres bei Nacht vorbereitet.
»Was sind diese kleinen Farbflecken dort?«, fragte
er und zeigte darauf.
»Ein Fisch namens Shagra, junger Herr«, antwortete Nolun. »Er springt aus der Tiefe … aus keinem
Grund, den jemand feststellen konnte, vielleicht einfach aus Freude, und der Sprung stört das Muster des
Meeres.«
»Es ist … beeindruckend.« Valko hätte beinahe
schön gesagt, aber es wäre unmännlich, ein solches
Wort zu verwenden. Ihm wurde klar, dass Nolun ihn
ansah. Der Diener war beinahe einen Fuß kleiner als
Valko und von kräftigem Körperbau; er hatte eine
breite Brust, einen Stiernacken und kurze Wurstfinger an riesigen Händen. »Kämpfst du?«
»Wenn es notwendig ist, junger Herr.«
»Bist du gut?«
Einen Moment lang flackerte etwas hinter den
Augen des Dieners auf, dann senkte er den Kopf und
sagte leise: »Ich lebe noch.«
»Ja«, erwiderte Valko leise lachend. »Das tust du.
Und jetzt zur Halle meines Vaters.«
Als sie die große Halle erreichten, grüßten die beiden bewaffneten Wachen den neuen Erben des Mantels der Camareen mit militärischen Ehren. Valko
ignorierte die Schmerzen in Arm, Schulter und der
linken Hüfte und ging durch die Halle, um sich vor
seinen Vater zu stellen. Aruke saß in der Mitte eines
langen Tisches, der vor einer riesigen Feuerstelle
stand. »Ich bin hier, Vater.«
Aruke deutete auf einen leeren Stuhl. »Dies ist
dein Platz, mein Sohn.«
Valko ging um den Tisch herum und sah dabei jene an, die bereits saßen. Die meisten waren ihrer
Kleidung und den Abzeichen nach zu schließen
Würdenträger. Links von seinem Vater saß eine
wunderschöne Frau, zweifellos seine derzeitige Favoritin. Am Tag zuvor hatte Valko Dinge gehört, die
ihn glauben ließen, dass die vorherige Gefährtin seines Vaters verschwunden war, beinahe mit Sicherheit in ein Versteck.
Valko erkannte zwei weitere Männer,
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