Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 5
lockerer wurde, und versuchte sich zu drehen, denn
er erkannte nicht, dass Godfrey und Tad ihn nur mit
Mühe hielten. Ihr Griff an seinen Beinen begann abzugleiten, dann verlor erst Tad ihn vollkommen,
dann Godfrey. Einen Augenblick später kletterte
Grandy an einen Platz relativer Sicherheit, während
Jommy verrenkt dahing, seine Beine sich an seinem
Kopf vorbeischwangen und er plötzlich nach unten
glitt, mit den Füßen voran, und hektisch mit den
Händen nach einem Halt suchte. Servan setzte sich
auf den Hosenboden und ließ sich hinter Jommy heruntergleiten, dann drehte er sich, ignorierte die
Schnitte, die ihm die Steine zufügten, und tauchte
förmlich die Seite der Felsen entlang. Es gelang ihm
zuzugreifen und Jommy am Kragen zu packen.
Zane hatte Servans Bein gepackt, als dieser vorbeirutschte. Der Junge schrie vor Schmerz, denn seine Hüfte wurde dank Zanes Tat beinahe ausgerenkt.
Jommy griff blind nach oben, und Servan packte seine Hand. »Lass nicht los!«, rief er.
»Das werde ich nicht!«, antwortete Servan.
Jommy zwang sich zur Ruhe und schrie Servan zu:
»Was jetzt?«
Der Vetter des Königs verzog vor Schmerz das
Gesicht, aber er ließ Jommy nicht los. »Ich kann
mich nicht weiterbewegen. Benutz mich wie ein Seil
und klettere über mich.«
Jommy nutzte alle Kraft, die er noch im linken
Arm hatte, um sich hochzuziehen. Er griff mit der
rechten Hand zu und packte Servans Gürtel. Dann
tastete er mit dem rechten Fuß, fand ein wenig Halt
in einer Spalte und zog sich höher. Schließlich ließ er
mit der linken Hand los und griff nach oben, um sich
an dem fleischigen Teil von Servans rechtem Oberschenkel festzuhalten, zog sich weiter und spürte
Godfreys Hände auf den Schultern, die ihm aufs
Sims halfen.
Sobald er in Sicherheit war, drehte Jommy sich
um und half Zane, Servan wieder auf das Sims zu
ziehen. Die sechs Jungen atmeten schwer von der
Anstrengung, vor Schreck und vor Schmerzen, und
sie froren in dem peitschenden Regen auf dem Sims.
Jommy sah Servan an. »Du bist verrückt, Kumpel,
weißt du das?«
»Ich mag dich nicht«, sagte Servan, »aber das bedeutet nicht, dass ich mit ansehen will, wie du
stirbst.«
»Ich mag dich auch nicht«, erwiderte Jommy. Servan hatte Schnitte im Gesicht, seine Wange war geschwollen, und so, wie er die rechte Schulter hob,
hatte er sie sich vielleicht ausgerenkt. Bei dem strömenden Regen konnte Jommy es schwer sagen, aber
er glaubte, dass Servans Augen voller Tränen waren,
die vermutlich von den Schmerzen kamen. »Aber ich
schulde dir mein Leben.«
Servan brachte ein dünnes Lächeln zustande. »Eine unangenehme Situation, nicht wahr?«
»Das braucht es nicht zu sein«, erwiderte Jommy.
»Ich weiß nicht, wieso du es für notwendig hieltest,
dich über uns zu erheben, als wir eintrafen, und im
Moment ist mir das auch egal. Du hast mir das Leben
gerettet. Ich war dabei, diesen Berg hinunterzurutschen, und ohne dich hätte ich nicht aufgehört, ehe
ich den Boden erreichte. Wenn also jemand fragt,
werde ich der Erste sein, der erklärt, dass du kein
Feigling bist. Vielleicht verrückt, aber ganz bestimmt
nicht feige.«
Servan lächelte plötzlich. »Na ja, ich konnte dich
doch nicht fallen lassen, nachdem du dich beinahe
umgebracht hast, als du meinen Vetter gerettet hast.«
»Vetter?«, fragte Tad. Er sah Grandy an. »Er ist
dein Vetter?«
Grandy, dessen Zähne vor Kälte klapperten, sagte:
»Ja. Habe ich das nicht erwähnt?«
»Das macht dich also zu einem weiteren Neffen
des Königs?«, mutmaßte Tad.
»Nein«, sagte Servan. »Das macht ihn zum Sohn
des Königs. Grandys älterer Bruder ist Kronprinz
Constantine von Roldem. Was bedeutet, dass er eines
Tages der jüngere Bruder des Königs sein wird.«
»Ich will verdammt sein!«, sagte Jommy. »Die
Leute, denen man begegnet!«
Plötzlich fing Servan an zu lachen. Es war so echt
– eine Befreiung von Spannung und Angst –, dass
die übrigen Jungen nicht anders konnten und mit einfielen.
Bruder Thaddeus, der Mönch, der versuchte, sie zu
erreichen, fand ein sicheres Sims ein Dutzend Schritte unter ihnen und rief: »Wartet dort! Bruder Malcolm ist auf dem Weg zurück zur Universität. Er
wird Bruder Micah holen. Bleibt, wo ihr seid, und
haltet euch fest.«
Die Jungen drückten sich im Regen dichter aneinander. Micah war kein wirklicher Mönch des Ordens,
sondern ein Magier vom niederen Pfad, der auf dem
Universitätsgelände lebte. Seine vielen Talente
schlossen
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