Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia
Königreiche sind ohne große Bedeutung; wir haben ein paar Verbündete, aber sie verfügen über wenig Mittel. Kesh fühlt sich verpflichtet, seit wir das Kaiserreich vor Varen gerettet haben. Sie werden auf einen Ruf antworten. Aber was ich am meisten fürchte, ist, was passieren wird, wenn ich um den nächsten Gefallen bitte.«
»Flüchtlinge?«
»Ja. Es werden Millionen sein. Wahrscheinlich mehr als die gesamte Bevölkerung von Kesh und dem Königreich zusammengenommen. Kein Herrscher wird so viele Fremde, deren Loyalität ihrem eigenen Herrscher gehört, willkommen heißen. Nein, wir brauchen eine andere Lösung.«
»Wynet?«
»Die Ebenen oberhalb des großen Steilhangs wären perfekt, wenn dein Vater nicht schon die überlebenden Saaur dort angesiedelt hätte. Wir hatten all diese Jahre ein gutes Verhältnis, weil wir einander überwiegend ignoriert haben.
Aber wenn wir hunderttausend Tsurani-Krieger neben ihnen ansiedeln, könnten sie verärgert reagieren.«
»Es gibt viele Inseln im Westen.«
»Die Sonnenuntergangsinsel und die Archipele westlich davon?«, fragte Miranda. »Schön, wenn du nichts dagegen hast, in einer Hütte zu leben und zu allen Mahlzeiten Fisch
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zu essen, aber wenn du eine Gesellschaft im Exil wiederbeleben willst…« Sie seufzte. »Was wir brauchen, ist ein leerer Planet.« »Gibt es einen?«
»Dein Vater würde das wissen«, sagte sie mit kaum verborgener Bitterkeit.
Caleb schwieg. Seine Eltern liebten einander sehr, aber wie bei vielen anderen verheirateten Paaren hatten auch beide Eigenschaften, die den jeweils anderen ärgerten. Caleb wusste, was seinen Vater anging, bestand das in Mirandas Beharren, ihre eigenen Pläne und Ideen zu haben, ganz gleich, wie der Konsens im Konklave lautete. Sie hatte sogar ihre eigenen Agenten, die nicht Teil der größeren Organisation seines Vaters waren. Und seine Mutter beneidete Pug um seine gewaltige Kenntnis über Welten außerhalb von Midkemia. Bei all ihrer Macht waren Kelewan und der Gang der Welten die einzigen zwei Bereiche außerhalb von Midkemia, die sie erforscht hatte, und ohne Pug hätte sie nicht einmal das getan.
»Ich breche bald zu den Sonnenelfen auf. Geh, und iss etwas, und komm dann hierher zurück.«
Caleb nickte und gähnte. »Tut mir leid. Ich bin seit vor der Morgendämmerung auf.«
Sie lächelte. Sie wusste genau, dass Caleb immer schon vor der Dämmerung wach war. Sie schaute ihrem Sohn hinterher und lehnte sich dann zurück, betrachtete die Briefe und Nachrichten auf dem Schreibtisch vor ihr. Sie fand es beinahe unmöglich, sich zu konzentrieren.
Ihr Mann fehlte ihr mehr, als sie sich vor dieser verrückten Reise ins Reich der Dasati hätte vorstellen können. Sie waren zuvor schon getrennt gewesen, waren aber immer überzeugt gewesen, dass sie einander wiedersehen würden.
Diesmal war sie nicht so sicher. Ihr Mann hatte ein Ge 202
heimnis, etwas, das sie bemerkt hatte, seit sie ihm im Krieg gegen die Armee der Smaragdkönigin begegnet war. Es war etwas, worüber er sich weigerte zu sprechen, etwas, das er nicht einmal andeuten wollte, aber sie kannte ihn gut, und von Zeit zu Zeit ertappte sie ihn, wie er seine Söhne auf eine bestimmte Weise ansah oder, wenn er nicht ahnte, dass sie es bemerkte, auch sie. Es war, als versuche er, ihre Züge in seine Erinnerung einzubrennen, als fürchtete er jedes Mal, wenn er ging, dass er sie nicht wiedersehen würde.
Sie schob sich vom Schreibtisch weg. Sie konnte sich nicht konzentrieren, wenn sie dort saß. Sie wusste, dass Caleb es verstehen würde, wenn er zurückkehrte und sie schon weg war. Sie schloss eine Sekunde die Augen, dann stellte sie sich vor, wo in der Siedlung der Sonnenelfen sie erscheinen wollte, und wünschte sich dorthin.
Tomas drehte sich um, als sie erschien. »Miranda! Ich dachte schon, Ihr würdet nicht kommen.«
»So etwas würde ich mir doch nicht entgehen lassen«, sagte sie mit tapferem Lächeln. Welche Befürchtungen sie auch immer wegen der Abwesenheit ihres Mannes hatte, sie würde niemals jemandem ihre Sorge zeigen. Erstens, weil sie es hasste, Schwäche zu zeigen, und zweitens, weil das Konklave das Vertrauen all seiner Verbündeten brauchte, und diese Sonnenelfen trauten Menschen immer noch nicht genug, um als Verbündete bezeichnet zu werden.
Also wusste sie, dass ihre Teilnahme hier gebraucht wurde, um dieses Vertrauen aufzubauen.
Castdanur nickte ihr zum Gruß zu, und seine Freundlichkeit schien echt zu sein. Sie hatte
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