Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia
auf einem erhöhten Erdhaufen.
Sie war gewaltig. Ihr segmentierter Körper maß vom Kopf bis zum Ende des zweiten Thorax mindestens dreißig Fuß. Ihr Chitin sah aus wie eine Rüstung, schwarz poliert wie bearbeitetes Leder, und aus dem welken Aussehen ihrer Beine entnahm Miranda, dass sie sich nie von hier wegbewegte. Ihr Körper war mit einem wunderschön gewebten Stoff bedeckt, einer antiken Tsurani-Arbeit. Auf allen Seiten kümmerten sich Arbeiter um ihren gewaltigen Körper, polierten ihr Chitin, fächelten ihr mit ihren Flügeln Luft zu, trugen Essen und Wasser zu ihr. Weit hinten an ihrem Thorax hockte ein untersetzter männlicher Cho-ja und wiegte sich hin und zurück, während er sich mit ihr vereinigte. Kleine Arbeiter umgaben ihn und kümmerten sich um ihn, während andere männliche Cho-ja geduldig auf einer Seite warteten, um ihre Rolle in der andauernden, endlosen Vergrößerung des Stockes zu spielen.
Ein Dutzend männliche Cho-ja hatte sich vor der Königin aufgestellt, einige trugen Helme mit einem Kamm, andere hatten keinen sichtbaren Schmuck, und alle grüßten Miranda mit höflichen, schweigenden Verbeugungen. Auf jeder Seite des Raums lagen kleinere Versionen der Königin auf ihren Bäuchen, und Diener huschten um jede von ihnen herum. Miranda wusste, dass es sich um eierlegende geringere Königinnen handelte, deren unfruchtbare Eier an die Königin weitergegeben wurden, die sie im Ganzen verschluckte, in ihrem Körper fruchtbar machte und sie dann noch einmal legte.
Miranda verbeugte sich tief vor den versammelten Cho-ja. »Ehre Eurem Stock, meine Königin.«
»Ehre Eurem Haus, Miranda aus Midkemia.«
288
»Ich komme mit einer sehr dringlichen Warnung, Majestät«, begann sie.
Ruhig berichtete sie alles, was Pug ihr über das Kommen des Schreckenslords gesagt hatte, und über Pugs Vorschlag, die Tsurani auf eine neue Welt zu bringen. Am Ende sagte sie: »Diese Welt ist üppig und bietet vieles im Überfluss, und es gibt genug Platz für die Cho-ja. Man sagt mir, was eine Königin hört, hören alle Königinnen, und dass meine Worte jetzt sogar von Euren Verwandten im fernen Chakaha vernommen werden. Eure Magier sind legendär, und wir würden ihre Hilfe bei der Vorbereitung der Spalte zu dieser neuen Welt willkommen heißen, denn die Zeit ist knapp, und es müssen so viele evakuiert werden.«
Die Königin setzte ihre normalen Pflichten fort, dann erklärte sie schließlich:
»Wir, die Cho-ja, danken Miranda aus Midkemia für ihre Warnung, und wir danken allen, die sich um das Wohlergehen der Cho-ja sorgen.« Sie schwieg einen Moment, und Miranda fragte sich, ob es eine Art lautloser Kommunikation zwischen dieser Königin und den anderen gab. Dann sagte die Königin: »Aber wir müssen Eure Freundlichkeit ablehnen.«
Miranda konnte kaum glauben, was sie hörte. »Was?«, rief sie.
»Wir werden bleiben, und wir werden sterben.«
Ihrer Aussage fehlte es vollkommen an Emotionen, was die Worte in ihrer Kargheit noch fremdartiger machte. »Aber warum, Majestät? Von allen auf Kelewan seid Ihr diejenigen, die ihre Evakuierung am besten bewerkstelligen können. Ihr verfügt über mächtige Magiebenutzer und könnt Eure eigenen Spalte herstellen, durch die Ihr entkommen könnt.«
»Mara von den Acoma kam mich holen, als ich gerade frisch geschlüpft war«, begann die alte Königin. »Sie
288
sagte, ich sei hübsch, und deshalb kam ich hierher. Seitdem besuchte sie mich viele Male, ebenso wie ihr Sohn und dessen Sohn und dessen Sohn. Ich genieße diese Besuche, wie es alle Königinnen tun, die das Erlebnis mit mir teilen, Miranda. Aber kein Mensch hat jemals wirklich unser Wesen verstanden. Wir sind von dieser Welt. Wir können nirgendwo anders leben.
Wir waren von dieser Welt, als die Menschen zum ersten Mal hierherkamen, zu einer Zeit vor jeder Geschichtsschreibung, und wir werden mit dieser Welt sterben. So muss es sein. Würdet Ihr Bäume ausreißen und versuchen, sie anderswo anzupflanzen? Würdet Ihr das Meer leer fischen und Geschöpfe der Tiefe in fremde Gewässer bringen, um sie zu retten? Würdet ihr selbst die Felsen von Kelewan bewegen, um sie zu retten? Ihr Menschen seid Besucher hier, und das seid ihr immer gewesen, und es ist angemessen, dass ihr weiterzieht, aber wir sind von dieser Welt.« Sie hielt einen Moment inne, dann wiederholte sie: »Wir sind von dieser Welt.«
Miranda war sprachlos. In den Worten der Königin lag eine so tiefe Endgültigkeit, dass sie wusste, es
Weitere Kostenlose Bücher