Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia
erwiderte Pug.
»Und nehmen wir einmal an, Sie möchte Euch nicht sehen?«
»Ich denke, sie wird es wollen.«
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»Und warum sollte das der Fall sein?« »Weil ich ihr etwas zu sagen habe, das sie zweifellos hören will.«
»Warum sitzt Ihr dann hier, Ihr elender Sohn eines Musonga« - das war die Bezeichnung für besonders dummes, unterirdisch lebendes Ungeziefer, den Fluch aller Bauern auf Kelewan - »und trabt nicht dort hinauf, um ihr zu sagen, was ihr zu sagen habt?«
»Weil es, Ihr klotzköpfiger Sohn eines furzenden Needra und eines sich im Schlamm suhlenden Baloo« - entgegnete Pug und bezog sich dabei auf zwei Haustiere, ein dummes Lasttier und ein schmutziges und ebenfalls dummes, aber essbares Stück Schlachtvieh - »ein Zeichen schlechter Erziehung wäre, einfach ohne Einladung zu einer Audienz dort hinaufzugehen, was Ihr auch genau wissen würdet, wenn Eure Mutter Kinder zur Welt gebracht hätte, die sagen können, dass es Tag ist, wenn sie draußen im Sonnenschein stehen, und wenn Ihr halb so viel Geist hättet, wie die Götter einem Sack mit Steinen gegeben haben. Natürlich könnt Ihr meine Gründe nicht erkennen! Man nennt sie >gute Manieren.«
Die Krieger in der Nähe fingen an zu lachen: Dieser Tsurani sprach nicht nur passables Thuril, er konnte andere auch stilvoll beleidigen.
Der rothaarige Krieger wusste nicht, ob er lachen oder sich aufregen sollte, aber bevor er sich entscheiden konnte, sagte Pug: »Seid ein freundlicher Gastgeber, und fragt die Kaliane, ob sie Milamber von der Versammlung, einstmals Ehemann von Katala, einer Thuril-Frau, anhören würde.«
Es wurde plötzlich still. Ein alter Mann, der in der Ecke saß, stand auf und kam herüber zu Pug. »Wie kann das sein? Du bist ein junger Mann, und Katala war eine Ver
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wandte von mir, tot schon vor meiner Geburt. Es heißt, sie habe eine Schwarze Robe geheiratet.«
»Ich bin dieser Mann«, erwiderte Pug. »Ich lebe lange, ich bleibe, wie Ihr mich seht und wie ich damals war, als ich sie geheiratet habe. Sie war meine Frau und die Mutter meines erstgeborenen Sohnes, und ich trauere immer noch um sie.«
Der alte Mann wandte sich einem der jüngeren Krieger zu und sagte: »Geh zur Kaliane, und sag ihr, ein wichtiger Mann sei aus dem Tsurani-Land gekommen, um mit ihr und dem Rat zu sprechen. Ich verbürge mich für ihn.«
Der junge Krieger nickte in Respekt vor dem alten Mann, der sich nun neben Pug setzte. »Milamber von der Versammlung, ich würde gern die Geschichte von dir und meiner Verwandten hören.«
Pug seufzte, denn dies waren Erinnerungen, die er selten aufsuchte. »Als ich kaum mehr als ein Junge war, drangen die Tsurani in meine Heimat ein, und ich wurde Sklave des großen Hauses der Shinzawai. Dort begegnete ich Kata-la von den Thuril, die von Grenzbanditen in die Sklaverei verkauft worden war.
Wir trafen uns eines Tages …« Er erzählte die Geschichte langsam und in einfachen Worten, und bald war klar, dass seine Erinnerungen so lebhaft für ihn waren wie all die Jahre zuvor und die Bilder seiner ersten Frau von der Zeit unberührt.
Als er fertig war, weinten Krieger über die Geschichte ihrer Trennung, denn die tapferen Krieger der Thuril schämten sich nicht, starke Emotionen zu zeigen. Es wurde still, als der Bote zurückkehrte und sagte: »Die Kaliane bittet dich zu kommen und wird dich beim Rat willkommen heißen, Milamber von der Versammlung.«
Pug stand auf und verließ das Gasthaus. Er folgte seinem Führer den Weg hinauf, der zu einer großen Wiese ging,
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auf der Lederzelte standen, errichtet für die Ratsbesprechung. Die Wiese war das Heim von warmen Quellen, die Dampfwolken mit einem schwach metallischen Geruch in die Nacht aufsteigen ließen.
Nachtvögel riefen, und Pug wurde daran erinnert, wie fremd Kelewan für ihn gewesen war, als er das erste Mal als Gefangener der Tsurani hierhergekommen war, aber für beinahe acht Jahre war es dann seine Heimat geworden. Hier war er seiner Frau begegnet und hatte seinen Erstgeborenen gezeugt, und hierhin war sie zurückgekehrt, um an einer Krankheit zu sterben, die kein Priester heilen konnte.
Nach einem Weg, der ihn zwischen zahlreichen Hütten hindurchführte, fand er sich schließlich vor einem uralten Langhaus wieder. Er wusste genug über die Thuril-Tradition, um zu erkennen, dass dieses Langhaus schon Jahrzehnte hier war, vielleicht sogar ein Jahrhundert. Ein Ort, an dem sich Älteste zum Rat versammelten und den beruhigenden Einfluss
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