Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia
des Dunklen Gottes, obwohl die Gemeinschaft beinahe mit Sicherheit schon vor seinem Aufstieg existierte und sie damals Dienerinnen einer Göttin des Lebens oder der Natur waren. Aber obwohl die Schwesternschaft schließlich erkannt hat, was für eine sinnlose Dummheit es ist, wenn eine Gesellschaft derart mörderisch ist, dass selbst ihre eigenen Kinder in Gefahr sind, begriffen sie das erst, nachdem viel von der alten Überlieferung verloren war. Hätte ich mehr Zeit, um Studien anzustellen …« Er verstummte.
Pug befürchtete, dass Macros’ Zustand schlechter war, als er zugeben wollte.
In allem, was er tat, lag eindeutig ein Gefühl von Dringlichkeit, und Pug konnte nicht anders als befürchten, dass die Dinge schnell auf einen Wendepunkt zusteuerten.
Es würde Krieg geben. Entweder auf Midkemia oder Kelewan, dem Zwilling dieser Welt, und das Einzige, was die Einrichtung eines Brückenkopfs auf der nächsten Ebene verhinderte, war die Tatsache, dass die Streitkräfte des Dunklen Gottes noch Vorbereitungen trafen. Dieses Energiesammeln musste der letzte Schritt vor der geplanten Invasion sein.
Pug erkannte das logische Bedürfnis nach einem solchen Krieg. Er hatte gerade erst angefangen, Ansichten über die
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wirkliche Ursache des perversen Verhaltens dieser Gesellschaft zu entwickeln, aber ihm war klar, dass hier ein brüchiges Gleichgewicht herrschte und gesellschaftliche Kräfte nur aufgrund des Drucks zusammenhielten, den sie aufeinander ausübten; ein Schlag aus einer unerwarteten Richtung würde die ganze Struktur zusammenbrechen lassen. Es würde interessant sein, wie schnell sich die Dasati-Gesellschaft von diesem Tag groß angelegter Metzelei erholen würde, denn auf Midkemia würde so etwas zweifellos eine Stadt und vielleicht sogar ein ganzes Land in die Knie zwingen.
Pug verstand, dass in jeder menschlichen Kultur zu viele Auseinandersetzungen - sei es unter Bauern und Arbeitern, Kaufleuten und Händlern, im Militär oder der Zivilbürgerschaft - dazu führen konnten, dass alles im Chaos versank.
Das Westliche Reich hatte beinahe zwanzig Jahre gebraucht, um sich vollkommen vom Schlangenkrieg zu erholen, und das war nur geschehen, weil kluge und begabte Männer und Frauen im Dienst der Allgemeinheit gehandelt hatten, darunter auch Angehörige seiner eigenen Familie.
Pug wandte seine Aufmerksamkeit dem Parkland unter sich zu. Er konnte eine Bande bewaffneter Dasati, ihrer Kleidung nach Geringere, in einer flachen Senke hocken sehen, durch dichtes Gebüsch vor allen Blicken außer denen von oben geschützt. Sie waren voller Blut und erschöpft, und nach dem, was Pug sehen konnte, als er über sie hinwegflog, hatten sie aufgehört zu kämpfen und warteten nun auf den neuen Tag.
Als sie den Südwestrand des Parklands erreichten, dachte Pug, dass die versteckten Geringeren diesen Tag wohl kaum überleben würden, denn eine große Gruppe schwer bewaffneter berittener Todesritter und zwei Todespriester
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sammelte sich auf einem Platz und plante offenbar, eine organisierte Durchsuchung des Bereichs durchzuführen. Pug wünschte sich, er könnte sich einmischen, aber was würde das für einen Sinn haben? Und nur, weil im normalen gesellschaftlichen Ablauf Todesritter öfter die Raubwesen waren als die Geringeren, waren Letztere nicht weniger blutrünstig und mörderisch. Er wusste, wenn sie die Gelegenheit erhielten, würden sie ihn und seine Begleiter ohne Zögern vernichten.
Er erkannte erbittert, dass es ihm zwar gelungen war, sich der Kultur von Kelewan anzupassen, als er dort als junger Mann gefangen gewesen war, und dass er sich recht gut damit auskannte, die kulturellen Seitenwege fremder Gesellschaften zu befahren, er aber nie vollkommen imstande sein würde, das Wesen der Dasati zu erfassen.
Sie flogen weiter über die Stadtlandschaft und suchten nach möglichen Gefahren zwischen den gleichförmigen Gebäuden. Aber die Reise verlief ereignislos, und nach einem langen Flug in relativem Schweigen hörten sie Macros sagen: »Da drüben, nahe dem offenen Bereich mit dem kleinen See.«
Magnus änderte die Richtung und brachte sie zu dem angezeigten Ziel. Sie stiegen langsam zum Rand des Raion hinab, und Macros sagte: »Das Gebäude da drüben, auf dem kleinen Hügel.«
Das Gebäude wirkte bescheiden, war aber wie alle Dasati-Behausungen schwer befestigt. Es hatte eine breite Mauer mit einem tiefen Graben davor, verstärkt durch angespitzte Holzbalken. »Einige hiesige Raubtiere sind recht
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