Feist, Raymond - Krondor-Saga 3
spürte er, wie er eine Gänsehaut bekam. Eine Woge von Energie schwappte über ihn hinweg und machte ihn förmlich körperlich krank, und er musste ein Würgen in der Kehle bekämpfen. Dann durchfuhr ihn ein Gefühl des Verlusts und des Unglücks, eine Sinnlosigkeit, die ihm durch Mark und Bein ging; dieses Gefühl wiederum wurde von einer Woge des Zorns und der Wut abgelöst, die sein Herz rasen und seine Augen tränen ließ.
Er keuchte und hörte, dass Jazhara ebenfalls keuchte.
Als er seine Augen öffnete, sah er, dass sie nicht so erfolgreich damit gewesen war, ihre Übelkeit zu bekämpfen.
Obwohl ihm schwindlig war und er sich völlig desorientiert fühlte, musste er versuchen, sich angesichts des immer näher kommenden Wolfsgeheuls zu konzentrieren.
Und dann zerbarst der Himmel. Lichtstrahlen durchstießen die Dunkelheit wie ein Netzwerk aus feinen Linien. Es war, als würden die Scherben eines zerbrochenen Fensters vom Himmel herabfallen, und die schwarze Nacht verschwand. In Stücken schien der dunkle Himmel herabzustürzen, nur um sich in substanzlosen Nebel aufzulösen, noch bevor er die Spitzen der nahe stehenden Bäume erreichte. Und hinter jeder Scherbe leuchtete das helle Tageslicht.
Und dann war es plötzlich wieder richtig hell – wie an einem ganz normalen Tag.
Das Heulen der Wölfe verstummte, und die Tagvögel begannen wieder mit ihrem Gesang und Gezwitscher.
»Das hatte ich nicht erwartet«, sagte Jazhara.
»Nun, unabhängig davon, ob wir so etwas erwartet hatten oder nicht – ich bin jedenfalls froh, die Sonne wieder zu sehen«, entgegnete James. Er warf einen kurzen Blick zu dem glühenden Feuerball hinauf und bemerkte:
»Es ist gerade mal Mittag.«
»Es ist eine ganze Menge geschehen«, sagte Jazhara.
»Kommt mit, wir müssen zurück zum Friedhof und nachsehen, was sich dort ereignet hat.«
Sie rannten zurück, durch die Stadt und weiter auf den Friedhof zu. Unterwegs sahen sie überall die Dorfbewohner aus Fenstern und Türen schauen; sie wirkten gleichzeitig erstaunt und erleichtert, dass das Tageslicht zurückgekehrt war. Ein paar mutigere Seelen hatten es gewagt, nach draußen zu gehen, und jetzt warfen sie sich Blicke zu, als wollten sie sich gegenseitig versichern, dass schon bald wieder so etwas wie Normalität in ihrem Dorf einkehren würde.
Als sie die Gruft erreichten, waren sie völlig außer Atem und schwitzten von der Hitze, die mit dem Sonnenschein zurückgekehrt war. Solon und Kendaric blockierten noch immer die Tür zum Gewölbe.
»Wo seid ihr gewesen?!«, rief Kendaric.
»Was habt ihr getan?«, fragte der Mönch. »Da drinnen ist der helle Wahnsinn ausgebrochen, und dann ist der Himmel über uns zerbrochen. Ich nehme an, diese beiden Geschehnisse stehen miteinander in Beziehung?«
»Wir haben den Seelenstein gefunden und zerschmettert«, sagte Jazhara.
James wirkte nachdenklich. »Ich dachte eigentlich, er würde … sterben, oder es würde ihm sonst etwas zustoßen, wenn wir den Seelenstein zerschmettern.«
»Ich bin keine Expertin in solchen Angelegenheiten«, sagte Jazhara langsam. »Hilda weiß vielleicht mehr. Aber ich halte jede Wette, dass wir jetzt, da der Seelenstein zerstört ist, auch einen Weg finden, ihn zu vernichten.«
»Können wir sie nicht einfach eingesperrt lassen, bis sie sich in nichts aufgelöst haben?«, fragte Kendaric.
»Nicht, wenn der Meistervampir die Quelle dessen ist, was Euren Spruch nicht wirksam werden lässt.«
Kendaric stand da, einen resignierten Ausdruck im Gesicht. Dann fing er damit an, den ersten Grabstein beiseite zu wälzen, der die Tür zur Gruft versperrte.
»Könnte mir jemand vielleicht ein bisschen helfen?«
»Eigentlich lieber nicht«, sagte James, machte sich aber gleichzeitig daran, einen weiteren Grabstein wegzu-schieben.
»Haben wir denn einen Plan?«, fragte Solon.
»Wir müssen dem Vampirlord eine Hand abtrennen«, erinnerte ihn Jazhara.
»Wir lassen sie die Tür öffnen«, sagte James. »Sie mögen das Licht nicht, also wird es sie vielleicht schwächen. Ich bin vor noch nicht allzu langer Zeit einem Dämon begegnet, dessen Fleisch im Sonnenlicht zu brennen angefangen hat. Vielleicht ist es mit den Dingern da drin genauso.«
»Das mag für die minderen Vampire vielleicht gelten«, sagte Solon und wuchtete einen weiteren Stein beiseite.
»Aber ich befürchte, dass es den Meistervampir allenfalls ein bisschen verärgern wird.«
»Vielleicht können wir sie einen nach dem anderen töten, wenn
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