Feldpostnummer unbekannt
Infanteriegeschosse bewirkten auf der Panzerung des Wagens nicht mehr als Fliegenstiche. Achim zog den Kopf ein und lachte wild.
Das Gemetzel dauerte nur sechzig Sekunden. Kurz bevor Trautmann die Infanteriestellung erreicht hatte, riß er den Wagen herum und fuhr seitwärts die Befestigung entlang. Ehrlich und Achim brauchten nur hineinzuballern. Der Pimpf sah Menschen, die aufsprangen, sah aufgerissene, entsetzte Augen, sah sie umfallen wie gemäht. Seine Geschosse streckten sie in den Sand. Und sie hatten keine Chance und höchstens noch ein paar Sekunden, um zu sterben. Ein paar verloren die Nerven und sprangen aus der Stellung.
»Arme Hunde«, murmelte der Unteroffizier und knallte dazwischen. Sein Gesicht war verzerrt, angeekelt. Wenn sie sich wenigstens wehren könnten, dachte er sinnlos, statt hier in einem Klumpen draufzugehen wie Schlachtvieh. Er zielte auf einen, der den Kopf zu weit aus dem Sand hob. Volltreffer. Ehrlich war einen Moment dankbar, daß der Rauchschleier die Detonation verdeckte.
Noch 80 Meter. Wieder sprang einer hoch und warf eine Handgranate. Bevor er sie schleudern konnte, hatte ihn Achims MG erfaßt und auf den Rücken geworfen. Die Handgranate krepierte im eigenen Graben. Vier, fünf Tote, schätzte der Pimpf. Er lachte nicht mehr. Seine Oberlippe hatte sich nach oben geschoben; es sah aus, als ob er die Zähne fletschte. Er glaubte Blut zu riechen und spürte, wie der Griff des MGs in seiner Hand schmierig wurde. Er sah des Menschen letzte Angst, seinen letzten Wunsch, er sah sie über Kimme und Korn- und fetzte dazwischen, legte sie reihenweise um und stockte erst, als er einen traf, der die Hände hob.
Der Panzerspähwagen hatte die Stellung seitlich passiert.
»Jetzt nichts wie weg!« sagte Ehrlich.
Trautmann haute den Gang hinein, daß das Knirschen der Zahnräder das Motorengeräusch übertönte. Der Wagen schoß mit Vollgas weiter. Achim war es schlecht. Er fühlte sich hundeelend. Aus solcher Nähe hatte er den Tod noch nie gesehen. Bisher war das Schießen ein anonymer Vorgang für ihn gewesen, eine mechanische Verrichtung. Aber jetzt wagte er sich nicht umzudrehen, nicht nach hinten zu sehen, wo höchstens ein Dutzend das Massaker überstanden haben konnte.
»Kehrt!« brüllte Unteroffizier Ehrlich. Befehl ausgeführt, dachte er, und jetzt zurück mit achtzig Sachen …
Sie kamen nicht weit.
Am flirrenden Horizont, genau in der Richtung, in die sie fahren mußten, hoben sich dunkle Punkte ab, und Ehrlich wie Trautmann erkannten gleichzeitig: keine Dornbüsche, keine Baumstümpfe, keine Lichtreflexe, keine Fata Morgana, sondern sechs, acht britische Panzer, vermutlich per Funk von den englischen Infanteristen hinbeordert, die das einseitige Gemetzel überlebt hatten …
Von den drei deutschen Soldaten des britischen Panzerspähwagens, der mit geändertem Emblem in diesen Einsatz für Hitler rollte, hatte nur Achim, der Pimpf, die plötzliche Gefahr nicht bemerkt. Er kauerte mit gesenktem Kopf neben dem MG und betrachtete seine Hände; sie zitterten wie der Sonnenglast. Der Junge konnte es nicht begreifen, daß sie eben, in nicht ganz einer Minute, zwanzig oder dreißig Menschen getötet oder verstümmelt hatten. Um den Feind zu schlagen war er ausgezogen, bereit, den Tod zu geben – nicht aber ihn auch noch zu sehen, nicht aus nächster Nähe über Kimme und Korn in die entsetzten, entmenschlichten, zuckenden, blutenden, flehenden Gesichter zu starren.
Trautmann, der Fahrer, bremste den Wagen so jäh ab, daß er ins Schleudern kam. Achim fuhr erschrocken hoch. Der Gefreite haute den Rückwärtsgang hinein und gab Vollgas, um den drohenden Silhouetten der Feindpanzer zu entkommen. Ein paarmal drehten sich die Räder im Leerlauf, dann endlich fraßen sie sich im Sand fest, und das gepanzerte Ungetüm schoß so plötzlich nach hinten, daß Achim mit dem Hinterkopf schwer gegen eine Stahlplatte knallte. Noch im Schwung schaffte Trautmann eine Art Halbkreis und wetzte jetzt nach vorne. Der Wagen heulte grell wie ein Verwundeter. Die nächsten Sekunden erlebten die drei wie in Zeitlupe; sie warteten auf die Blitze am Horizont, auf krepierende Granaten, auf surrende Splitter, auf gefährliche Wölkchen im Sand. Wenn die Tommies sie erkannt hatten – vermutlich waren sie sogar zur Jagd auf die deutsche Patrouille angesetzt –, dann verblieb dem Panzerspähwagen nur die Chance der größeren Geschwindigkeit.
Nichts rührte sich.
Unteroffizier Ehrlich ließ in
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