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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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artikulierter Betonung stolz, »ich bin ein geschulter Nationalsozialist …«
    »Von mir aus«, brummelte Thomas geringschätzig. »Du kannst dir zur Vorbereitung deiner Sabberei heute Nachmittag frei nehmen.«
    Der Kompanieführer war schon im Weitergehen.
    »Das ist gar nicht nötig«, rief ihm sein Bruder nach.
    Thomas drehte sich auf dem Absatz um. Sein Gesicht badete im Spott.
    »Fein, Schütze Kleebach«, entgegnete er, »dann melden Sie sich in der Küche zum Innendienst.«
    Der Pimpf sah ihm verdrossen nach. Die ständigen Zusammenstöße mit dem Leutnant, seinem Bruder, füllten ihn mit Hass und fütterten die Kompanie mit Abwechslung. Längst war den Leuten das seltsame Duell der beiden Brüder aufgefallen, und Achim verbitterte der Umstand besonders, daß seine Kameraden fast geschlossen auf der Seite seines Bruders standen. Lauter Laue, dachte er, lauter Spreu, stupide Landser, keine echten Gefolgsleute …
    Er schälte die Kartoffeln so wild, als ob er die Feinde der Bewegung einzeln skalpieren wollte. Er schnitt sich in den Finger dabei, und der Küchenbulle quittierte es mit einem Anschiß. »Du bist zu doof zum Kacken!« stellte er fest. »Hau ab und schmiere deine Klappe für heut Abend …«
    Dann kam Achims große Stunde.
    Die Kompanie saß im Halbkreis, und der Pimpf stand vor ihrer Front, wie er es sich immer gewünscht hatte. Die meisten betrachteten ihn auch, denn sie beherrschten die Landserkunst meisterlich, mit offenen Augen zu schlafen. Achim griff mit beiden Händen in den Abfalleimer der Zeit. Er sprach markant, in dem zackigen Tonfall, der die Nichtigkeit kleidet. »Der Jude«, rief er mit heller Stimme, »ist der historische Feind unseres Volkes … er ist verschlagen und zäh. Er benutzt sein Geld, um das Reich zu zersetzen … erst dem Führer ist es gelungen, unser Großdeutschland von dem semitischen Gift zu befreien …«
    Er sah an der Reihe seiner Kameraden entlang. Die meisten dösten. Einer bastelte in Gedanken an einer Wehrmachtshelferin herum. Ein anderer formulierte an einem Brief an seine Mutter. Ein dritter wartete auf die Wirkung der Ölsardinen, deren geöffnete Büchse er einen ganzen, heißen Tag lang in der Sonne hatte stehen lassen, um sie dann in der Hoffnung auf Gelbsucht hinunterzuwürgen, denn jede Krankheit war ihm lieber als das Heldendasein.
    Zuletzt blieb Achims Blick auf dem Gesicht des Gefreiten Trautmann hängen, der ihn einmal durchgebracht hatte. Er schien als einziger bei der Sache zu sein, hatte den Kopf auf seinen Ellbogen gestützt. Seine Augen glänzten, und um seinen Mund spielte der übliche, melancholische Zug. Wenigstens Trautmann ist nicht so stumpfsinnig wie die anderen, dachte der Pimpf und fuhr fort: »Die Nürnberger Gesetze haben den Juden als biologischen Faktor ausgeschaltet … Es wird künftig keine Vermischung unserer nordischen Rasse mehr geben …«
    Im Hintergrund schnarchte einer laut und deutlich. Andere sahen auf die Uhr. Nichts war ihnen im Moment gleichgültiger als die sogenannte Judenfrage.
    »Eine besondere Gefahr ist die semitische Vergiftung unserer Kultur … in seiner bekannten Agilität drängte sich der Jude in Spitzenpositionen und durchsetzte mit seiner Verdorbenheit die Musik, die Dichtung, die Sprache … auch sie ist heute …«
    »Nicht so pauschal«, unterbrach der eben eingetretene Kompanieführer seinen Bruder, »Beispiele bitte!«
    Im ersten Impuls war Achim verworren. Er dachte angestrengt nach. »Lessing«, antwortete er dann matt.
    »Der war Reinarier«, rief einer aus der hinteren Reihe. Die anderen lachten und waren jetzt aufmerksamer, denn sie wußten, mit dem Eintreffen des Kompaniechefs kam endlich Schwung in den müden Laden.
    »Mendelssohn«, fuhr der Pimpf fort.
    »War doch 'n Komponist«, brummelte wieder einer dazwischen. »Ludwig Börne und Heinrich Heine«, suchte Achim wieder festen Boden. »Diese Literatur haben wir als Schmutz und Schund verbrannt, und in den reinigenden Flammen des Feuers …«
    Teils Kitschromantik, teils Stürmer-Welsch, dachte Leutnant Thomas Kleebach angewidert, bereit, seinen Bruder auf das Glatteis zu führen, um ihm eine Lektion zu erteilen.
    »Ich warte immer noch auf ein Beispiel zur Beleuchtung«, sagte der Kompanieführer mit unbewegtem Gesicht, »vielleicht Heinrich Heine, der ist noch am bekanntesten …«
    »Ja«, antwortete Achim fahrig, flüchtig, »da spiegelt es sich am deutlichsten.«
    »Was?«
    »Das Gift.«
    »Von welchem Werk sprechen

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