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Sie, Kleebach?« fragte der Kompanieführer.
»Von allen …«
»Quatsch«, sagte Thomas derb. »Ich will jetzt keinen Schmus mehr hören, sondern was Konkretes! … Ein Beispiel.«
»Ich habe Heine nicht gelesen«, gab der in die Enge getriebene Pimpf zu.
»Wenn ich gewußt hätte, wie unvorbereitet Sie sind, Kleebach«, sagte der Leutnant unter dem Gluckern der ganzen Kompanie, »hätte ich Ihnen den Schulungsunterricht nicht übergeben … das ist ja Hochstapelei!«
Achim wurde rot wie ein Mädchen, er spürte es, kämpfte dagegen an und verschlimmerte es nur noch.
»Ist zufällig einer unter uns«, übernahm der Kompanieführer mit spürbarer Ironie vorübergehend selbst den Unterricht, »der Heine gelesen hat?«
»Jawohl, Herr Leutnant«, antwortete ein Gefreiter im Hintergrund und stand auf.
Es war Trautmann. Thomas Kleebach sah es und erschrak. Er erteilte sich selbst eine Rüge wegen seiner Gedankenlosigkeit. Ich hätte ihn auf Wache einteilen müssen, oder zu sonstwas, überlegte er zu spät.
»Die >Reisebilder< … Deutschland, ein Wintermärchen< … das Buch >Le Grand<«, zitierte der Gefreite Trautmann, »es handelt sich bei diesen Werken um …«
»Schon gut«, versetzte der Leutnant lächelnd. Dann wandte er sich fast belustigt wieder an seinen Bruder, den er nur duzte, wenn er mit ihm allein war. »Merken Sie sich, Kleebach: man kann einen Feind nur bekämpfen, wenn man ihn kennt; fahren Sie fort, so Sie uns noch etwas zu bieten haben.«
Achim betrachtete einen Moment lang seinen Kumpel Trautmann verwirrt und gehässig. Dann sah er, wie der Gefreite fast in sich zusammensank, wie sein schwerer Kopf wieder auf den Ellbogen fiel, und wie er einen schnellen Blick des Einverständnisses mit dem Kompanieführer wechselte. Aber der Pimpf maß dem keine Bedeutung bei. Schließlich war Trautmann ein feiner Kerl, hatte ihn aus dem explodierenden Panzerspähwagen gerissen, durch die Wüste geschleppt und den Tee in der Feldflasche mit ihm geteilt und noch die Kraft gehabt, dem Fieseler-Storch zuzuwinken … mochte er also, was Heine anbelangte, besser Bescheid wissen, verzieh ihm der Pimpf gönnerhaft, ist doch bloß Judenzeug …
»Die Bewegung und das Judentum sind unversöhnliche Gegensätze«, schmetterte Achim dann laut weiter. »Und dieser Krieg wird mit der Vernichtung des einen oder des anderen enden … wir stehen erst auf halbem Wege, aber wir haben unser Ziel klar erkannt …«
Er sah, wieder sicher geworden, noch einmal von einem zum anderen, starrte in lächelnde Gesichter, in gleichgültige, in belustigte, in dösende, begegnete dem traurigen Hundeblick Trautmanns, den der Kompanieführer in diesem Moment zu sich herwinkte, was der Gefreite übersah, oder übersehen wollte.
»Es gibt keine Sentimentalität! Kein Mitleid! Die Endlösung ist auf dem Marsch, und sie heißt: Ausrottung! … Und das gilt für jeden einzelnen … jeder Jude ist eine Gefahr, und deshalb gibt es keine Rücksicht, ob Mann, ob Frau, ob Greis, ob Kind … wir werden sie alle ausradieren!«
Leutnant Thomas Kleebach konnte das Geschwätz nicht mehr mit anhören und wollte den Unterricht abbrechen, zudem ihm die gehetzte Verzweiflung, die er im Gesicht Trautmanns sah, Kopf und Herz schwer machten. Er erschrak vor dem harten Glanz in den Augen, und bevor Thomas noch eingreifen konnte, erhob sich der Gefreite, langsam wie in Zeitlupe, und ging mit drohenden Schritten auf den verdutzten Achim zu.
»Was willst du?« fuhr ihn der Pimpf an.
»Ausradierung«, zerkaute Trautmann das Wort zwischen den Zähnen. »Gilt das auch für meine Mutter?« setzte er hinzu, wie zum Sprung geduckt.
»Wieso?«
»Sie ist Jüdin«, versetzte Trautmann hart und fest.
Auf einmal war es still im Zelt. Plötzlich ging ein Schnitt durch den Raum und schuf Parteien, so gleichgültig ihnen auch noch vor einer Minute die Judenfrage war. Trautmann atmete schwer. Er stieß die Worte wie gewürgt hervor: »Ja … sie ist Jüdin … und heute habe ich einen Brief bekommen, daß sie verhaftet wurde … und jetzt«, seine Stimme wurde schrill, »jetzt wird sie ausradiert …«
»Aber das …«, stotterte Achim hilflos.
Trautmanns Gesicht war verfallen, zu einer Maske aus Angst und Trauer. »Und dafür«, fuhr er schwer fort, »soll ich auch noch meinen Kopf hinhalten …« Fast unvermittelt fiel die letzte Beherrschung von ihm ab. Sein Gesicht verzerrte sich. Seine Augen wirkten fast irr. »Für euch … für euch
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