Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
durchgesessenen Sofa mit den abgewetzten Armlehnen. Es passte nicht zu den anderen Polstermöbeln im Raum, aber das bemerkte sie gar nicht. Sie sah nicht, dass die Messingornamente am Kamin schon oft poliert worden waren, sodass man die feineren Details des Musters nicht mehr erkennen konnte. Und auch die Mottenlöcher im Teppich fielen ihr nicht auf. Sie nahm nur wahr, dass es hier fröhlich und laut zuging. Würde bei ihr zu Hause auch so eine heitere Stimmung einkehren, wenn erst einmal das Baby da war?
»Wenn Mama ihr Baby kriegt … vielleicht wird es ein Junge«, murmelte sie in Gedanken versunken.
»Deine Mutter erwartet ein Kind?«, fragte Percy.
Felicity nickte.
»Mit einer Schwester bist du besser dran, glaub mir«, meinte er. »Meiner Erfahrung nach ist ein kleiner Bruder so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann.«
Wills Blick fiel auf das Backgammonbrett. »Ich könnte dir einen guten Zug verraten.«
»Felicity hat sowieso schon einen Riesenvorsprung, da braucht sie nicht auch noch deine Hilfe«, knurrte Henry.
»Und wenn sie es jetzt richtig anstellt, macht sie dich im Nullkommanichts vollends fertig.« Will fing an, ihr zu erklären, was er meinte.
Am Abend summte Felicity der Kopf, weil sie die ganze Zeit an die geheimnisvollen und unerklärlichen Ereignisse der letzten Tage denken musste. Sie konnte es kaum erwarten, dass sie sich zurückziehen und wieder in die Welt ihres neuen Buchs eintauchen durfte. Schön warm zugedeckt in ihrem Bett, in einer Hand die hölzerne Kugel, blätterte sie bis zu einem Kapitel mit der Überschrift »Herrschaft und Strafe«:
Und sie benutzte ihre Macht, um ihn zu schlagen, bis er fast verrückt wurde vor Schmerzen. »Hör auf«, bettelte er, aber sie hatte kein Erbarmen. Sie genoss es, ihn leiden zu sehen, und sie empfand eine tiefe Genugtuung. »Das wird dich Gehorsam lehren«, sagte sie. Und ihr grausames und gieriges Herz war zufrieden, soweit ein grausames und gieriges Herz zufrieden sein kann.
Die Knie hochgezogen, umhüllt vom sanften Licht der Leselampe, saß Felicity da, sicher und geborgen wie in einem Kokon. Selbst der Gedanke an die Wettfahrt am nächsten Tag machte ihr keine Angst mehr. Sie wusste, dass es albern war, aber irgendwie fühlte sie sich gleich besser, sobald sie die Holzkugel in der Hand hielt, als wäre sie ein Glücksbringer.
Im Erdgeschoss betrat ihre Mutter das Arbeitszimmer ihres Mannes. Sie hatte schon geschlafen, als er in der Nacht zuvor nach Hause gekommen war, und so hatte sie – da die stillschweigende Übereinkunft bestand, nicht in Anwesenheit der Kinder zu streiten – einen ganzen Tag Zeit gehabt, im Geist das Gespräch immer wieder durchzuspielen.
»Deine Stiefmutter hat Felicitys Zimmer in Beschlag genommen«, begann sie in munterem Ton.
Mr Gallant saß vom Schreibtisch abgewandt da und starrte aus dem Fenster. Er reagierte nicht.
Sie erlebte diese Situation nicht zum ersten Mal, darum fuhr sie unbeirrt fort, den Blick missbilligend auf die mit Büchern vollgestopften Regale gerichtet, die so schwer abzustauben waren: »Weißt du, Tom, ich finde wirklich, dass du mir zumindest Bescheid sagen solltest, wenn du Leute in unser Haus einlädst. Und ich würde mir wünschen, dass du beim nächsten Mal auch da bist, um deine Gäste zu begrüßen«, fügte sie mit ungewohntem Sarkasmus hinzu.
Ihr Mann sagte noch immer nichts. Mrs Gallant schnaubte frustriert. Dieses Verhalten konnte sie sich nicht gefallen lassen. »Hast du etwa vor, einfach nur dazusitzen und zu schweigen?«, fragte sie böse.
Er antwortete nicht. Mrs Gallant richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. »Prima«, sagte sie kalt, verließ das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Am anderen Ende von Wellow öffnete Villainous Usage die Tür des Fischerhäuschens, in dem er und seine Mutter wohnten; ein kalter Windstoß fuhr hinein. Das Frettchengesicht des jungen Mannes zog sich zusammen, als er ins Halbdunkel spähte.
»Mutter!«, bellte er mit einer Lautstärke, die ganz unnötig war, da die gesamte Wohnung nur zwei Räume unten und zwei Kammern im Obergeschoss umfasste.
Er fand sie in der Küche, aber sie beachtete ihn nicht, denn sie war ganz in das Selbstgespräch vertieft, das sie gerade führte. »Was bildet der sich ein, dass er so mit mir spricht?«, fragte sie und blickte verächtlich um sich.
Villainous zog ein gehäutetes Kaninchen unter seiner Jacke hervor und hielt es ihr hin. »Ich hab es gerade ausgenommen«,
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