Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
Geräusch – Martha erschien, einen Stapel Bücher in den Händen. Ihre bekümmerte Miene hellte sich auf, als sie Felicity sah. Sie stellte die Bücher ab, lief auf ihre Freundin zu und umarmte sie. Tränen schossen Felicity in die Augen, ihr wurde ganz eng in der Brust.
»Weißt du«, sagte Martha, »vielleicht haben wir uns kennengelernt, weil eine Geschichte dafür gesorgt hat, dass meine Eltern nach Wellow zogen, aber dass du meine Freundin geworden bist, war deine Entscheidung, und ich bin froh, dass du es wolltest.«
»Ah, Felicity.« Miss Cameron kam auf sie zu. Sie lächelte, aber in ihren lila-grauen Augen lag etwas Betrübtes.
Felicity errötete.
»Ich habe gestern Abend mit deinem Großvater gesprochen«, sagte die Bibliothekarin. »Glaub mir, wir hatten die besten Absichten, als wir die Geschichte schrieben. Es tut mir leid, dass wir dich gekränkt haben, das wollten wir ganz bestimmt nicht.«
Felicity blickte auf den Boden. Sie war immer noch verletzt und peinlich berührt. Sie hätte sich gern für ihren Wutausbruch entschuldigt, schließlich hatte Miss Cameron so viel für sie getan. Aber ihr Stolz ließ es nicht zu; sie brachte kein Wort heraus.
Henry kam angelaufen. »Da ist sie ja! Klar, so einer Bibliothek kann kein Mensch widerstehen.«
Felicity musste lachen. Plötzlich sah die Welt nicht mehr so düster aus.
»Du hast doch nicht wirklich daran gezweifelt, dass wir dich mögen?«, fragte er.
Felicity schaute weg. Sie hatte in ihren Träumen ein Leben ohne ihre Freunde
gesehen
, aber er hätte es nicht verstanden.
»Würden wir sonst mit dir abhängen?«
Felicity lachte. Henry traf immer den rechten Ton.
»Wollen wir segeln gehen?«, fragte er. »Frische Luft tut uns allen sicher gut.«
»Ich bleibe lieber hier«, sagte Martha.
Felicity sah durchs Fenster hinaus. Eine Möwe kreiste am Himmel. Ein paar Stunden Freiheit auf dem Meer war genau das, was sie jetzt brauchte.
»Komm.« Henry zupfte sie am Ärmel. »Gegen Mittag sind wir wieder da.«
Die Sonne war durchgekommen, strahlend hell glitzerte sie auf dem Meer. Kiesel knirschten unter den Füßen der beiden Kinder, als sie zu den Fischerhütten gingen, hinter denen die
Ehrliche Armut
auf dem Strand lag. Sie schoben das Boot ins Wasser und machten die Segel klar. Die vertrauten Handgriffe beruhigten Felicity.
»Wenn die Sache mit meiner Geschichte Miss Camerons Idee war, muss sie eine der geheimen Quellen kennen«, sagte sie, als das Boot Fahrt aufnahm.
Henry seufzte. Er wusste, dass Felicity die ganze Nacht darüber gebrütet hatte. »Ich hab den Eindruck, dass Miss Cameron eine Menge Dinge weiß, die sie lieber für sich behält.«
»Und das findest du in Ordnung?«, murrte Felicity.
»Ich verstehe ja, dass es dich gekränkt hat, aber sie hat dir geholfen, vergiss das nicht.«
Felicity verzog das Gesicht.
Aber ihre Verstimmung hielt nicht lange an. Weiter draußen waren die Wellen nicht mehr bleich weiß, sondern so smaragdgrün wie immer. Die frische, salzige Luft und das sanfte Wogen des Meeres stimmten Felicity heiter. Auf dem Wasser wurde sie immer ganz gelassen, als wäre der Ozean in gewisser Weise ihr Zuhause. Sie genoss die kühle Brise im Gesicht und träumte vor sich hin, wie es wäre, auf große Fahrt über alle sieben Weltmeere zu gehen und nur anzuhalten, um neue Länder zu erforschen.
Dann umfuhren sie die Landspitze der Tempest Bay und das Wetter schlug um. Der Wind war mit einem Mal so kalt, dass sich die Härchen auf Felicitys Unterarmen sträubten. In einiger Entfernung hing Nebel über dem Wasser, eine dichte Wolkenbank, die die Klippen einhüllte und sich schnell weiter landeinwärts ausbreitete.
Wie ein Raubtier,
dachte Felicity.
»Da, schau mal«, rief Henry plötzlich aufgeregt. »Sieht so aus, als wäre da ein Schiff auf die Kiesbank aufgelaufen.«
Felicity blickte nach vorn. Im Nebel zeichneten sich die Umrisse eines Schiffsrumpfs ab, der sich schräg nach einer Seite neigte.
Jeder Einheimische kannte die Kiesbank. Bei Ebbe war sie deutlich zu sehen. Manchmal war sie so hoch überflutet, dass man mit einem kleinen Boot drüber wegsegeln konnte, aber Felicity vermied es. Das Murmeln und Knirschen der Kiesel, die in der Strömung aneinanderrieben, war ihr unheimlich.
»Kannst du erkennen, ob Leute an Bord sind?«, fragte Felicity.
Henry kniff die Augen zusammen. »Nein. Es hat starke Schlagseite.«
Er fierte das Focksegel und Felicity nahm Kurs auf das gestrandete Schiff. Der Nebel
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