Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
hatte. Sie sah zu Jeb hinüber, der neben ihr auf der Bank saß. Diese Zeiten schienen Lichtjahre weit entfernt.
Sie fuhr sich mit ihrer staubigen Hand durch die Haare. Sie zuckte zusammen, als der Stoff ihres Overalls eine wunde Stelle an ihrem Hals berührte.
Jeb blickte auf. »Dein Overall ist viel zu weit«, sagte er. »Ich mach ihn dir enger.« Er stand auf und zog das Band auf der Rückseite zusammen. Seine Finger streiften ihren Nacken.
Felicitys Wangen wurden heiß.
»So«, sagte Jeb und setzte sich wieder hin, »jetzt ist es besser.«
Felicity spürte das geschnitzte Boot, das sie an Jebs Goldkettchen trug, an ihrem Hals. Sie zog es hervor und hielt es hoch. »Ich hätte dir das Kettchen eigentlich schon längst zurückgeben müssen«, sagte sie.
Jeb sah ihr in die Augen. »Nein, mein Pate hat gesagt, ich soll es weiterschenken, wenn ich die –« Er stockte.
Felicity runzelte verwirrt die Stirn.
»Er sagte, es bringt Glück«, fuhr Jeb hastig fort, »es ist nämlich keine Kopie, sondern das Original, und jedenfalls möchte ich, dass du es behältst.« Er schwieg einen Moment. »Du und keine andere.«
Felicity war klar, dass sie in diesem Overall nicht gerade reizvoll aussah, aber für Jeb schien das überhaupt keine Rolle zu spielen. Sie musste grinsen.
Henry schaute herüber.
»Verdammt!«
Er hatte sein Tintenfass umgestoßen, Tinte ergoss sich über die Seite, an der er gerade arbeitete.
»Henry!« Martha sprang auf und versuchte, mit einem Taschentuch die schwarze Brühe aufzutupfen. »Also wirklich, wie kann man nur so –«
»Tut mir leid, aber ich kann’s jetzt auch nicht mehr ändern«, knurrte Henry.
»Du sollst die Geschichten vor der Zerstörung schützen, nicht mit Tinte übergießen.«
»Ich hab es ja nicht mit Absicht gemacht.« Henry schmiss seinen Füller hin und stürmte hinaus.
Martha sah Jeb und Felicity an und seufzte.
Jasper nahm seinen Kopfschutz ab. »Hab ich was verpasst?«, fragte er.
»Ich werde mal nach ihm sehen«, sagte Felicity.
»Nein«, rief Martha. »Das wäre nicht gut.«
»Aber –« Felicity sah sie verwirrt an.
Martha rang eine Weile vergeblich nach Worten, was sehr ungewöhnlich war. »Lass mich mit ihm reden«, sagte sie schließlich. »Glaub mir, es ist besser so.«
Felicity öffnete den Mund, dann klappte sie ihn wieder zu. Sie hatte Kopfweh. »Okay«, sagte sie. »Wie du willst.«
Martha ging oben auf der Klippe entlang. Henry saß zusammengesunken auf einem Haufen Steine. Am Himmel standen graue Wolken, die von hinten beleuchtet wurden. Das Sonnenlicht blitzte silbern auf dem Wasser.
»Du könntest ihr sagen, was du fühlst«, sagte Martha leise. Sie setzte sich neben ihn. Der Wind zerzauste ihre Haare. »Du bereust es vielleicht eines Tages, wenn du es nicht tust.«
Henry steckte seine Hände noch tiefer in die Hosentaschen. Er blickte starr aufs Meer hinaus. Er war gewachsen in letzter Zeit, sein rundes Gesicht bekam kantigere Züge. »Ich würde es bereuen, wenn ich es täte«, murmelte er.
Martha seufzte schwer. Ein Anflug von Ärger huschte über ihr Gesicht. »Ich will mich ja nicht einmischen, aber sie ist nicht so –«
Henry fuhr herum. »Lass es«, sagte er. »Lass es einfach.«
Dreizehntes Kapitel
M arthas Entschlossenheit, mehr über die Erdhexe herauszufinden und die versteckte Botschaft von Alices Brief zu entschlüsseln, blieb ungebrochen.
»Du spinnst doch«, sagte Henry eines Tages, als er sie im Lesezimmer dabei ertappte, wie sie wieder einmal die Seite 120 in dem roten Lederband studierte. Eigentlich sollte sie zusammen mit Felicity Pause machen und sich ein bisschen erholen, stattdessen brütete sie über den Rätseln dieses Texts.
Sie hatte jedes Wort schon Dutzende Male im Geist hin und her gewendet, um ihm seinen verborgenen Sinn zu entlocken, aber sie hatte nichts Neues entdecken können.
Jasper kam herein und legte Holz im Kamin nach. Felicity, die in einem der großen Sessel vor Erschöpfung eingedöst war, schrak hoch.
»Vielleicht will Alice ja sagen, dass wir uns auf die Suche nach der Halskette machen sollen, die die
Herrin
vorgezeigt hat, um zu beweisen, dass der Geliebte der Erdhexe nichts mehr von ihr wissen wollte«, meinte Martha. »Ich frage mich, was daraus geworden ist.«
»Diese ständigen Grübeleien führen zu nichts, sieh es endlich ein«, sagte Henry und versuchte, ihr das Buch wegzunehmen, aber Martha hielt es fest.
»Wenn nur Miss Cameron endlich wiederkäme«, murmelte sie.
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