Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
auch alle Hände voll mit anderen Dingen zu tun.« Jasper stand auf. »Nett von dir, dass du daran gedacht hast.« Seine Augen leuchteten. Er nahm den altmodischen Kelch und drehte ihn hin und her. Das Bleikristall funkelte im Licht. »Ich habe Abbildungen davon gesehen, aber in Wirklichkeit ist er natürlich noch viel imposanter«, sagte er.
»Könnte er uns irgendeinen Hinweis darauf liefern, wo sich der Blutstein jetzt befindet?«
»Es ist nicht unmöglich, aber viel Hoffnung habe ich nicht.« Jasper seufzte. »Der Blutstein ist unter allen Artefakten das, über das am wenigsten bekannt ist. Ich habe bei meinen Recherchen nur sehr spärliche Informationen dazu gefunden. Und das, was wir haben, hat uns in eine Sackgasse geführt.«
»Vielleicht existiert er gar nicht mehr«, sagte Felicity. »Jemand könnte ihn vernichtet haben.«
Jasper schüttelte den Kopf. »Er ist unzerstörbar, das weiß man ganz sicher. Man kann ihn nicht einmal mit einem Diamanten ritzen.«
Er zeigte auf die drei Männer, die auf dem silbernen Standfuß abgebildet waren. »Die drei Opfer: Sie wollen die Wahrheit weder hören noch sehen, noch aussprechen.«
Felicity trat neben Jasper und musterte die von Qual verzerrten Gesichter.
Im Wasser ist die Wahrheit.
Sie erinnerte sich an den Nachmittag, an dem sie so wutentbrannt zu ihrem Großvater gelaufen war, um ihn zur Rede zu stellen. »Man kann das Ding in zwei Teile zerlegen«, sagte sie. »Großvater hat es mir gezeigt.«
»Ich glaube, ich weiß schon, wie man es machen muss.« Jasper nahm vorsichtig die Kristallschale aus ihrer Fassung. Dann sah er die versteckte Inschrift und musste schmunzeln.
»Sie wissen wirklich gut über die Gentry und alles, was damit zusammenhängt, Bescheid«, bemerkte Felicity.
»Na ja, manche Dinge würde ich schon gerne noch genauer erforschen.« Jasper blickte auf die Tischplatte hinunter. »Das war einer der Gründe, warum ich den Blutstein wiederfinden wollte: Ich würde gerne einmal ausprobieren, was es mit seinen besonderen Eigenschaften auf sich hat.«
Felicity zuckte zusammen. »Sie wollen jemanden vergiften?«
Jasper sah sie entsetzt und ein bisschen gekränkt an. »Natürlich nicht.«
»Dann wollen Sie sich selbst vergiften?«, fragte Felicity verwirrt.
»Das Wasser, in dem der Blutstein lag, diente eigentlich nicht dem Zweck, Menschen umzubringen. Es wirkte, wenn man es richtig dosierte, nicht tödlich. Nein, ich wollte es benutzen, um die Empfindungen und Gedanken von anderen Menschen zu verstehen.«
Felicity starrte ihn verständnislos an.
»Ach so, ich dachte, das weißt du bereits«, sagte Jasper. »Wenn man von dem Wasser trinkt, das mit dem Stein in Berührung gekommen ist, kann man ins Innere von Leuten blicken. Man hört oder sieht, was in ihnen vorgeht.«
»Ich habe nur gelesen, dass das Wasser wie Gift wirkte«, sagte Felicity.
»In
Legenden und Mythen der Gentry,
Heft Nummer 19 .«
Felicity nickte.
Jasper schüttelte betrübt den Kopf. »Dieser Verlag setzt jede Menge Halbwahrheiten und Unsinn in die Welt. Es ist wirklich schlimm.«
»Man kann fremde Gedanken lesen«, murmelte Felicity.
»Ich glaube, für viele, die es probierten, war es eine ziemlich unangenehme Erfahrung«, sagte Jasper. »Darauf bezieht sich diese Inschrift:
Trink aus mir, wenn du es vertragen kannst
. Das bedeutet:
wenn du es vertragen kannst, dass dir davon scheußlich schlecht wird,
und gleichzeitig:
wenn du es vertragen kannst zu wissen, was andere über dich denken
.«
Felicitys Gedanken rasten. »Und Sie kommen nicht weiter bei Ihrer Suche?«
»Ja, vielleicht hat jemand absichtlich eine falsche Fährte gelegt hat, die
Herrin
zum Beispiel – das würde zu ihr passen.« Jasper runzelte die Stirn. »Die Spur führte uns in die Karibik, in die Region, in der ich die Sturmmaschine gefunden hatte. Aber im Lauf unserer Nachforschungen wurde schnell klar, dass der Blutstein nie dort gewesen sein konnte.«
»Was ist mit Wellow? Dort ist er das letzte Mal gesehen worden.«
Jasper beugte sich vor und nahm einen Aktenordner, der auf dem Tisch lag. »Das hier ist der Bericht von jemandem, der sehr gründlich die ganze Stadt abgesucht und nichts gefunden hat.«
»Weiß Martha das alles?«, fragte Felicity.
»Ich wollte es ihr sagen, aber Henry hat uns andauernd gestört. Er war entsetzlich schlecht gelaunt.«
Der sonderbare Streit mit Henry kam Felicity in den Sinn.
»Vielleicht werden wir später einmal zusammen durch die Welt reisen, in
fremde
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