Streetworkern im Kreis der stadtbekannten Schizos willkommen geheißen wurde, weil er mit einem Mal, wo er ging und stand, lauthals Selbstgespräche führte - und dabei war er der Erste, der auf dem Handy mit einem Headset telefonierte. Und ich erinnere mich an einen Archie, der einen Tag nachdem sie erfunden worden waren,
auf After-Work-Partys ging, obwohl der Kerl nie im Leben einen Job gehabt hat.
Apropos Job: Wovon lebte der Kerl eigentlich zurzeit? Gute Frage. Als ich ihm letztens beim Vorbeigehen über die Schulter linste, schien er mir hauptberuflich … internetsüchtig zu sein. Nun handelt es sich bei dieser Art rigoroser Lebenszeitverschwendung um eine Zivilisationskrankheit, von der gegenwärtig fast die ganze Welt betroffen ist. Die Symptome sind bekannt: Der Erkrankte versucht seinem Lebensgrau, seinen Frustrationen, echten Sorgen, vor allem aber der Arbeit dadurch zu entfliehen, dass er wie ein am offenen Hirn verdrahteter Versuchsaffe alle paar Sekunden irgendwelche Internetseiten anklickt. Diese trösten ihn dann kurzzeitig darüber hinweg, dass er nicht, sagen wir mal, Brad Pitt oder Scarlett Johansson oder König Midas oder zumindest sein Nachbar mit dem größeren Flachbildschirm ist. Auf vielen derartigen Seiten kann er dabei seine belanglose bis dummdreiste Meinung als Kommentar kundtun, in der Regel in desaströser Orthografie. Die Freude hält natürlich nicht lange an, und so sucht er durch den nächsten Mausklick erneute Zerstreuung und so weiter und so fort. Doch Archie schien von dieser zeitgenössischen Onanie geradezu wie von Krebs im Endstadium zerfressen zu sein. Zu unserem Glück, wie sich jetzt herausstellte.
»Jetzt im Sommer ist Archies Tür immer offen«, sagte Junior. »Die Fenster sowieso. Ich kann es mir daher aussuchen, in die Bude von vorne oder von hinten über die Feuertreppe einzusteigen. Der Kerl pennt um diese Zeit meist neben der Computertastatur ein. Ein Wunder, dass er überhaupt noch am Leben ist, wo er sich doch nur von Schokoriegeln und
Aldi-Wein ernährt. Jedenfalls werde ich wohl an seinem Rechner eine aufwendige Internetrecherche starten. Kann ein Weilchen dauern. Ach, bevor ich es vergesse: Ich habe mir heimlich eine E-Mail-Adresse eingerichtet:
[email protected]. Interessant, mal die Gedanken und Ansichten von Artgenossen aus Übersee zu erfahren. Wenn die Menschen wüssten, was wir hinter ihrem Rücken im Netz alles anstellen, würden sie das Internet glatt wieder abschaffen. Merk dir jedenfalls diese Adresse. Wenn du erneut in vergleichbaren Schwierigkeiten stecken solltest, schickst du mir einfach eine Mail.«
Auch Junior machte sich davon. Zurück blieben nur noch Sancta und meine Wenigkeit. Die Lagebesprechung hatte mich regelrecht erschlagen. Ich wollte nur noch schlafen, schlafen und all die Schmerzen im Schlaf ertränken. Denn gleichgültig, was die Pharmaindustrie verspricht, nur der Schlaf macht alles wieder heile.
»Und welche weltbewegende Aufgabe hast du für mich vorgesehen, großer Meister?« Sancta leckte sich gemütlich ihre rechte Pfote und strich damit über ihr silberblaues Engelsgesicht. Ein Zeichen dafür, dass sie den Schock über meinen Beinahe-Abgang mittlerweile gut verdaut hatte.
»Eine sehr wichtige«, entgegnete ich. »Schlüpf zu mir in den Korb, schmieg dich an mich, und lass uns im wahrsten Sinne des Wortes zusammen schlafen. Das bringt mir mehr als jede Superpille.«
»Typisch Macho!«
»Wie bitte?«
»Tu doch nicht so verblüfft. Blaubart schickst du, ohne mit der Wimper zu zucken, hinter die feindlichen Linien
und Junior zur geistigen Arbeitsklausur. Ich aber bin für den angeschlagenen Herrn nur als kuschelige Nachtschwester von Interesse.«
»Geht das denn schon wieder los!?« Die Kopfschmerzen kehrten mit vehementer Wucht zurück. »Falls du es immer noch nicht bemerkt hast, Sancta, ich bin gerade etwas unpässlich und kann mich nicht in die Untiefen einer Geschlechterdebatte begeben. Aber ich sage es dir gleich: Eher würde ich jetzt gleich fünfzig Runden Achterbahn fahren, als dich zu diesem verfluchten Protzkasten zu schicken. Wenn du dich davon überzeugen möchtest, wie gefährlich es dort zugeht, lies meine Krankenakte.«
»So habe ich es nicht gemeint, Liebster.« Sie schlüpfte tatsächlich in den Korb und schmiegte ihren warmen, schmalen Körper eng an mich. Ihr langer Schwanz schlängelte sich überall auf meinem Fell wie der magische Puschel eines Medizinmannes, der böse Geister abwehren und die