Felipolis - Ein Felidae-Roman
ignorierte Domino die nahende Gefahr deshalb, weil, wer immer da den Seitenschacht entlangkam, für sie gar keine Gefahr darstellte? War das am Ende die Überraschung?
Ich wich weiter zurück. Gebrannte Kinder scheuen ja bekanntlich das Feuer. »Komm mit mir, Domino«, sagte ich, während sie sich in dem schummerigen Licht allmählich selbst in einen Schattenriss verwandelte. Natürlich wollte ich sie immer noch warnen. Aber dann war eine Warnung nicht mehr nötig. Ihr zwischen Enttäuschung und Ärgernis schwankender Gesichtsausdruck sagte deutlich, dass sie sehr wohl wusste, was gespielt wurde. Der Schatten bedeckte beinahe schon die ganze Schachtmauer.
»Okay, okay. Du bist ein echter Spielverderber, Francis.« Sie schien gemerkt zu haben, dass sie mich nicht würde überzeugen können. So machte sie bezaubernde Miene zum krampfigen Spiel und lächelte mir gekünstelt zu. »Wenn du dir die kleinste Überraschung verbittest, verrate ich sie dir eben vorab. Die Überraschung heißt Felipolis!«
Er bog um die Ecke, gesellte sich zu Domino und hockte sich auf die Hinterbeine. Wo wir gerade bei Überraschungen sind: Sie war kein bisschen überrascht. Das Auftauchen des Fremden trug auch nicht gerade zu einer sensationellen Aufklärung bei. Ganz offensichtlich handelte es sich um einen
Artgenossen, und er hatte ebenso offensichtlich auch nichts Böses im Sinn. Sonst hätte er nicht so friedlich neben Domino Platz genommen. Im Gegenteil, die beiden schienen sich exakt an dieser Stelle verabredet zu haben.
Ich konnte den Fremden nicht identifizieren. Ebenso wie Domino nahm ich ihn aus dieser Distanz lediglich als eine Silhouette gegen das schwache Licht aus dem Hintergrund wahr. Aber nicht die schlechten Sichtverhältnisse machten mir Angst. Vielmehr beunruhigte mich, was von den beiden ausging. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. Doch während ich weiterhin rückwärts schlich, kam es mir so vor, als würden die beiden jeden Augenblick vor nur mühsam unterdrücktem Groll platzen, weil ich ihnen in die Suppe gespuckt hatte. Allem Anschein nach sollte Domino mich hierher locken, um … tja, warum? An diesem Punkt hakte es bei mir an der Kombinationsmechanik. Es wollte mir beim besten Willen kein Grund dafür einfallen. Und auch das Rätselraten um die Identität des Fremden und seine Absichten geriet arg ins Stottern.
»Felipolis?«, sagte ich. »Das ist keine Überraschung für mich. Ich weiß schon seit einer Weile Bescheid, was es damit auf sich hat.« Ich konnte die beiden kaum mehr sehen, so weit hatte ich mich schon von ihnen entfernt.
»Das mag schon sein, Francis«, rief Domino. »Aber die eigentliche Überraschung ist, dass wir, alle Brüder und Schwestern, bereits in sechzehn Stunden in Felipolis sein werden.« Und als hätte diese Mitteilung mich nicht mit der Wirkung einer Abrissbirne in meinen Grundfesten erschüttert, blühte mir gleich die nächste Überraschung: Domino und der ominöse Fremde drehten sich einfach um und verschwanden
in dem Seitenschacht. Ich versuchte eine ganze Weile, aus dem Staunen herauszukommen. Kurzzeitig überlegte ich sogar, ihnen hinterherzulaufen und sie zur Rede zu stellen. Doch eine sehr eindringliche innere Stimme empfahl mir, das besser sein zu lassen. Vielleicht war es die Stimme meines Körpers, der immer noch mit den Erinnerungen an die zurückliegenden Schmerzenstage kämpfte. Allein die Vorstellung, wohin dieser dubiose Seitenschacht wohl führen mochte, erzeugte nur Grausen und Übelkeit in mir. Ich hielt abrupt inne.
»Domino!«, schrie ich ihr nach und hörte es durch den ganzen Schacht hallen. »Man hat euch hereingelegt. Nicht ihr werdet es sein, die auf die Insel eurer Träume fliegt, sondern ganz andere. Ihr macht euch etwas vor, ihr …«
Meine Stimme erstarb. Ich stand in der Dunkelheit wie der Einsamste auf Gottes Erden. Diesmal hatte niemand es für nötig befunden, mich mit Gewalt zum Schweigen zu bringen. Warum auch, die Show war gelaufen. Marc Forster und seine Milliardäre freuten sich schon auf den schönen Insel-Trip, und offenkundig freuten sich auch die Unsrigen darauf. Alles hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Bis auf die leidige Sache mit Sancta natürlich. Aber wer weiß, vielleicht bekam ich ja bald eine nette Ansichtskarte aus Felipolis von ihr, auf der sie mir von ihren kontemplativen Spaziergängen am mehlweißen Strand berichtete und wie köstlich die selbst gefangenen Fische dort schmeckten.
Was störte also dieses Bild der
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