Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
für ein verdammter Mann? Ich kann keinen Mann sehen.«
Ich ließ den Blick in die Runde schweifen, um sicherzugehen, dass niemand in Sicht war, dann sprintete ich zur Laderampe. Ein Lastwagen stand dort, die Hecktüren weit offen, die eigene Laderampe herabgelassen. Braune Pappkartons von einer umgekippten Palette bedeckten den Zementboden vor dem Rolltor. Wer hier zum Arbeiten eingeteilt war, hatte das Werkzeug ziemlich plötzlich fallen lassen. Günstigstenfalls waren die Betreffenden geflohen, als der Aufruhr losbrach, aber es war auch möglich, dass sie sich unter den Geiseln im Gebäude befanden. Ich fragte mich reichlich verspätet, in welchen Schlamassel ich mich wieder hineinritt, aber jetzt schien der richtige Zeitpunkt längst verstrichen zu sein, um das Ganze noch einmal kritisch zu überdenken. Wahrscheinlich bestand der Trick darin, solche Risikonummern bereits bei den ersten Überlegungen auszuschließen.
Das Rolltor würde wahrscheinlich aufgehen, wenn ich die Hände unter die Kante schob und zog, aber niemand wusste, wie viel Lärm es dabei verursachen würde. Stattdessen ging ich auf Hände und Knie hinunter und kroch hindurch.
Falls jemand auf der anderen Seite des Tors gewartet hätte, wäre ich ein leichtes Ziel gewesen, während ich mich auf allen vieren über den Zement schob und auf der anderen Seite aufrichtete. Das war nicht gerade das, was man als »verdeckte Infiltration« bezeichnen würde. Doch der Raum, in dem ich mich wiederfand, war lang und schmal, gefüllt mit deckenhohen Karton- und Kistenstapeln, und dankenswerterweise frei von blutrünstigen Irren, die mit abgebrochenen Möbeltrümmern bewaffnet waren. Für ein oder zwei Sekunden rührte ich mich nicht und lauschte, aber es herrschte weiterhin völlige Stille. Das Geschehen fand offensichtlich ganz woanders statt.
Aber als ich tiefer in den Raum vordrang, nahm ich eine Vielfalt von Geräuschen fast unterhalb meiner Hörgrenze wahr: dumpfe Schläge und erstickte Schreie, gedämpft durch die Entfernung, so dass man sich, wenn man die Augen schloss, einreden konnte, dass man einem Kricketspiel auf der Dorfwiese lauschte.
Am Ende des Raums gab es keine Tür, sondern nur einen quadratischen Durchgang, der in einen größeren Lagerraum führte. Durch diesen schlich ich wachsam hindurch, wobei ich jedes Mal, wenn ich einen dunklen Quergang passierte, ein Kribbeln im Nacken verspürte. Ich stieß auf einen Fahrstuhlschacht, dessen Durchmesser für mich und den Civic, mit dem ich hergekommen war, ausreichte, aber der Fahrstuhl selbst befand sich woanders. Die Türen gaben den Blick auf einen vertikalen Korridor aus grauem Porenbeton frei, bis auf dessen Grund ich nicht sehen konnte. Ich ging weiter, bis mich ein Paar Schwingtüren aus Kautschuk in einen gefliesten Korridor einließen. Die Plakate an der Wand, die für Designerjeans zum halben Preis und dreihundert Freiminuten zu jedem neuen Mobiltelefon warben, verrieten mir, dass ich mich nicht mehr in der Kulisse befand, sondern die Bühne betreten hatte. Dies war das eigentliche Kaufhaus.
Ich erwartete, dass der Korridor mich in die zentrale Verkaufshalle führte, aber ich wurde irgendwie umgeleitet und landete in einer Sackgasse bei den Toiletten und einer sprechenden Körperwaage. Die Geräusche waren leiser geworden, aber als ich kehrtmachte, um auf dem Weg zurückzugehen, auf dem ich gekommen war, drehte mein anderer Sinn – der, den ich in der Ausübung meines Berufs benutzte – total durch. Etwas kam den Korridor herunter, und ich brauchte kein Prickeln in den Daumen, um zu erkennen, dass es übel war. Es war tot oder untot oder vielleicht sogar etwas noch Schlimmeres. Und egal, was es war, es kam direkt auf mich zu. Nur noch eine Sekunde, und es käme um die Biegung und geriete in mein Blickfeld.
Da es nichts gab, wohin ich mich hätte wenden können, machte ich einen Schritt rückwärts, stieß die Tür zur Damentoilette auf und schlüpfte hinein. Falls das Ding bereits meine Spur aufgenommen hatte, würde es mir ganz sicher folgen – aber zumindest hatte ich ein paar Sekunden gewonnen, um mich angemessen auf die Begegnung vorzubereiten.
Mein eigener Silberdolch war kaum mehr als ein Obstmesser. Ich führte ihn, wie den Kelch, vorwiegend für rituelle Gelegenheiten mit mir. Aber das Messer, dass der
loup-garou
am Vorabend hatte fallen lassen, steckte noch in meiner Außentasche. Ich holte es heraus und entfernte die Papphülle von der höllisch scharfen Klinge. Dann
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