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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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tatsächlich mehr, als ich darüber wissen wollte.
    Die Rolltreppen befanden sich im Zentrum der unteren Halle, wodurch ich ausreichend Zeit hatte, zu den Galerien im ersten und zweiten Stock hinaufzublicken, als ich mich ihnen näherte. Der erste Stock war allem Anschein nach verwaist, aber oben im zweiten Stock kämpften drei Männer mit einem vierten in einer, wie ich zuerst annahm, freundschaftlichen Rangelei. Dann erkannte ich, dass ich die Situation falsch gedeutet hatte. Sie erschien nur freundschaftlich, weil drei Männer lachten. Der vierte gab überhaupt keinen Ton von sich, weil sie ihn geknebelt hatten, ehe sie ihm die Schlinge um den Hals legten. Im Augenblick knoteten sie das andere Ende des Stricks um das Geländer. Es war nicht schwer zu erraten, was der nächste Schritt sein würde.
    Okay, es wurde Zeit, aktiv zu werden. Ich betrat die Rolltreppe, die sich nicht bewegte, und setzte die Flöte an die Lippen. Während ich langsam die Stufen hinaufstieg und wegen ihrer unterschiedlichen Höhe beinahe ins Straucheln geriet, spielte ich eine schrille, näselnde Sequenz, die sich anhörte wie der Schrei eines liebeskranken Dudelsacks. Das Einkaufszentrum hatte eine ziemlich gute Akustik, zumindest wenn es so relativ menschenleer war wie jetzt. Über mir hielten die Verrückten in ihrer Freizeitbeschäftigung inne, um sich umzuschauen, wer die Katze massakrierte.
    Sie wichen auseinander und standen auf, so dass ich sie besser erkennen konnte. Sie sahen erschreckend durchschnittlich aus. Einer war ein Brillenträger in den mittleren Jahren mit beginnender Glatze und mit einem Oberhemd und einer Anzughose bekleidet. Die anderen beiden waren viel jünger – einer sicher nicht älter als ein Student – und in Freizeitkleidung. Man konnte sich nicht vorstellen, dass sie gemeinsam einen Mord begingen. Man konnte sich noch nicht einmal vorstellen, dass sie gemeinsam auf den Bus warteten.
    Aber dies war nicht der geeignete Augenblick, um darüber zu spekulieren, wie sie sich getroffen und ein gemeinsames Interesse für den Tod durch Hängen entdeckt hatten. Nein, jetzt war Showtime. Theatralik war das Gebot der Stunde. Ich wollte, dass sie mich beobachteten, anstatt ihre bisherige Tätigkeit wieder aufzunehmen. Ich tippte mit den Füßen auf die Stufen und erzeugte einen Rhythmus zu den grellen Tönen, die ich aus meiner Flöte entließ. Linker Fuß, dann rechter, die Knie hoch und mit dem Oberkörper hin und her schwingend wie ein geistesgestörter Schlangenbeschwörer, der versuchte, seine Nummer allein durchzuziehen, nachdem seine Kobra ihn verlassen hatte.
    All das rief die gewünschte Wirkung hervor. Die drei Männer ließen von ihrem gefesselten und geknebelten Opfer ab und drängten sich ans Geländer, um zu verfolgen, wie ich zu ihnen heraufkam. Dann erschienen zahlreiche andere Gesichter hinter ihnen, Männer und Frauen, und kamen ebenfalls zum Geländer, um an ihnen teils erschreckt, teils neugierig und teils verständnislos vorbeizuschauen. Ich hatte diese Leute vorher nicht gesehen, weil sie im hinteren Bereich der Galerie gestanden hatten, wahrscheinlich ängstlich zusammengedrängt.
    Ich bekam eine Gänsehaut. Irgendwie erschien die beabsichtigte Hinrichtung auf Grund der Tatsache, dass sie vor einem Publikum stattgefunden hätte, noch grässlicher. Falls ich noch irgendwelche Zweifel gehabt hätte, ob ich mich in Kansas oder im freundlich-fröhlichen Land Oz befand, verwarf ich sie jetzt: Was immer hier im Gange war, es war nicht naturgegeben.
    Ich verließ die erste Rolltreppe, bog ab und überquerte die kurze steingeflieste Fläche, die sie von der zweiten trennte. Damit bot ich den Irren meinen Rücken dar, was mir ganz und gar nicht gefiel, aber andererseits hatte es den Vorteil, dass ich auf diesem Weg auf die ihnen gegenüberliegende Seite der Galerie gelangte. Etwas Großes und Schweres krachte direkt vor mir auf den Boden und überschüttete mich mit Glasscherben und Kunststoffsplittern. Es war eine Stereoanlage, Lautsprecher exklusive, und einer der Trümmer dicht neben meinem Fuß trug das Logo von Bang & Olufsen: nicht gerade ein Wurfgeschoss, das man jeden Tag zu Gesicht bekam. Ich stieg darüber hinweg und ging weiter.
    Über mir auf der Galerie ertönte lautes Gejohle und Geschrei, gefolgt von einem Schauer kleinerer Gegenstände, die ich nicht beachtete. Einer traf mich am Rücken, aber er war nicht scharfkantig oder schwer genug, um einen Knochen zu verletzen. Vielleicht ließ ich

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